Ostern 2025¶
Mittwoch, 23. April 2025
Hallo Freunde,
auch wenn die Feiertage jetzt wieder vorbei sind, wünsche ich euch, dass ihr jeden Tag in der Freude der Auferstehung lebt und durch Eintracht und Liebe ein sichtbares Zeichen von Gottes Gegenwart seid (Formulierung aus Taizé).
Am Ostermontag habe ich erstmals seit der Operation wieder 70 Kg auf die Waage gebracht. Vor zwei Jahren hatten die Ärzte in Löwen mir gesagt, dass ich mein Normalgewicht wohl kaum jemals wieder erreichen würde. Normal waren bei mir 75 Kg, aber auf die letzten 5 Kg kann ich gerne verzichten, ich fühle mich schon mit 70 wieder kerngesund.
Ein paar Fotos aus unserem Leben. Falls dein Emailprogramm die Fotos nicht richtig anzeigt, kannst den Rundbrief auch online lesen unter https://luc.saffre-rumma.net/blog/2025/0423.html.
Alle paar Wochen, wenn Mari nach Tallinn kommt, fuhren wir mal kurz nach Vigala, um dringende Arbeiten zu erledigen. Das Schloss der Flurtüre war zerbrochen, ein Baum war auf den Schuppen gefallen und das Auto musste die Winterreifen ausziehen.




Seit Ende März darf ich wieder Autofahren. Das nutzen wir sogleich aus und ich fuhr allein für einige Tage in Vigala. Endlich noch mal wieder Heizen, Holzhacken und aufs Dach klettern.



Noch ist es kalt, aber der Schnee ist schon weg. Blick in den Garten vom Badezimmer und vom Dach aus.


In Tallinn lässt Bruder Alain derweil frischen Wind wehen. Zum ersten Mal seit ich in Estland lebe erlebe ich, dass der Priester fürs Vaterunser alle Kinder an den Altar sammelt. Für wohlerzogene estnische Katholiken etwas zu liberal. Ich dagegen fühle mich wieder etwas mehr zu Hause in der Kirche und habe ihn schon zum Frittenessen eingeladen, denn er kommt aus Brügge.


Links ein Taizé-Gebet, rechts ein Fackelzug der populistischen konservativen Volkspartei. Ohne Kommentar.


Anlässlich Maris Geburtstag hatten wir einen entspannten gemeinsamen Familienabend.


Der Frühling kommt hier in Estland eindeutig plötzlicher als in Belgien. Erst vor zwei Wochen hatten wir noch einen Abschiedsgruß des Winters…


… aber danach legte der Frühling endlich richtig los. Und mit der Wärme kommt auch der Regen. Aber der Kirschblaum ließ sich dadurch am Ostermorgen nicht vom Blühen abhalten.


Gestern wurde ich schmerzlich an das Thema Entschuldigung? Verzeihung! erinnert. Die Drehbuchautoren der Fernsehserie „Frühling“ im ZDF haben sich offenbar noch nie Gedanken über den Unterschied zwischen „Entschuldigung“ und „Verzeihung“ gemacht. Gestern schaute ich eine Folge aus dem Jahr 2021, da hatte eine Vierzehnjährige die Handtasche der Protagonistin gestohlen. Als das aufflog, floh das Mädchen zunächst ohne sichtbares Schuldbekenntnis in ihr Zimmer. Am nächsten Morgen hat sie sich wieder beruhigt und wartet auf Katja:
Katja: „Petra, was machst du denn hier?“Petra: „Ich habe auf Sie gewartet. Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen.“Katja: „Meinst du das ernst?“Petra: (nickt)Katja: „Gut. Entschuldigung angenommen.“(Schmetterlingsnebel, Folge 2 Staffel 10, ab 1:16:53)
Ich schau die Serie gern, weil sie recht lebensnahe Geschichten erzählt. Umso entsetzter bin ich dann über solche Desinformation. Petra will sich ja eindeutig eben nicht entschuldigen, sondern hat ihre Schuld eingesehen und bittet jetzt nun um Verzeihung.
Mag sein, dass ich ein Korinthenkacker bin, aber dann bin ich nicht der einzige. Zufällig ebenfalls gestern las ich Folgendes in einem Buch eines Dominikanermönchs aus dem Jahre 2017:
[I]l nous arrive de vouloir des choses inexcusables; il arrive qu’on nous fasse ou qu’on nous dise des choses inexcusables. Inexcusables, mais toutefois pardonnables. Pourtant, nous préférons les excuser. Ne vous est-il jamais arrivé, quand un proche vous demandait pardon, d’avoir préféré l’excuser, parce que c’est plus facile, parce que cela ne demande en fait pas de vraie relation? « Je te demande pardon pour ce que je t’ai dit ce matin. Non, tu n’étais pas en forme, tu ne voulais pas… Oh si!, j’ai vraiment voulu te faire du mal. Je l’ai vraiment voulu, de même qu’à présent je regrette vraiment. Rester dans l’excuse, c’est ne pas traiter l’autre, l’offenseur, comme un vrai sujet capable de vouloir quelque chose. On se protège comme cela. On se met à l’abri.
J’insiste parce qu’il me semble important de ne pas faire de confusion. Habiller aux couleurs du pardon l’oubli ou l’excuse, ce n’est pas seulement mal nommer les choses, ce qui n’est pas dramatique; c’est aussi s’interdire d’apporter au mal le remède approprié. C’est surtout se rendre complice du mal qu’on nous fait. Faire comme si ce n’était pas du mal, le couvrir, le travestir, cela n’a rien de chrétien, c’est même le contraire du christianisme, puisque cela nous fait passer de victime à complice, ou plutôt les deux à la fois, ce qui est vraiment la double peine.
Le pardon passe toujours par la vérité. Appeler un chat un chat, et un mal un mal. Il n’y a rien à attendre de la mièvrerie quand elle a lieu aux dépens de la vérité.
(Adrien Candiard, Quand tu étais sous le figuier…, ISBN 978-2-204-12105-7, p. 60-61)
Für die Ausländer unter euch eine Zusammenfassung in Deutsch:
Ich bestehe auf der Unterscheidung, weil es mir wichtig erscheint, keine Verwirrung zu stiften. Das Vergessen oder die Entschuldigung in den Schatten der Vergebung zu stellen, ist nicht nur eine falsche Bezeichnung der Dinge, was nicht dramatisch wäre; aber es bedeutet auch, sich selbst davon abzuhalten, das Übel angemessen zu bekämpfen. Vor allem machen wir uns damit zu Komplizen des Schadens, der uns zugefügt wird. So zu tun, als sei nichts Böses passiert, es zu vertuschen, es zu verschleiern, ist überhaupt nicht christlich, es ist sogar das Gegenteil von Christentum, denn es macht uns vom Opfer zum Komplizen, oder vielmehr zu beidem gleichzeitig, was in Wirklichkeit eine doppelte Strafe darstellt.
Vergebung kommt immer durch Wahrheit. Die Dinge beim Namen nennen, auch das Böse. Von Sentimentalität ist nichts zu erwarten, wenn sie auf Kosten der Wahrheit geht.
Die beiden Konzepte haben in allen vier Sprachen, die ich täglich benutze, getrennte Wörter:
fr |
de |
et |
en |
---|---|---|---|
excuser |
entschuldigen |
vabandama |
apologize, excuse |
pardonner |
verzeihen, vergeben |
andeks andma |
forgive, pardon |
Und dennoch leugnet selbst der Duden, dass es einen Unterschied gibt. Als erste Bedeutung von „sich entschuldigen“ nennt er „jemanden wegen eines falschen Verhaltens o. Ä. um Verständnis, Nachsicht, Verzeihung bitten“, und die Bedeutung von unentschuldbar erklärt er nicht nur als „nicht entschuldbar“, sondern meint noch „unverzeihlich“ hinzufügen zu müssen.
Das estnische Äquivalent des Dudens macht den gleichen Fehler, hier lese ich wortwörtlich „Tegusõna vabandama tähendab ’andeks andma, andestama’“.
Mein Entsetzen wäre unangemessen, wenn wir Menschen trotzdem glücklich und zufrieden wären. Aber viele sind das doch nicht. Zumindest habe ich in letzter Zeit oft den Eindruck. Ein Freund streitet sich mit seinem Nachbarn, weil der seinen Holzschuppen um einen Meter erhöht hat und meinem Freund die ganze Aussicht verbaut. Zwei meiner Freunde streiten sich über angebliche Nichteinhaltung des Allgemeinen Verhaltenskodexes der Wikimedia-Stiftung dermaßen, dass andere Vereinsmitglieder ihr Vertrauen verlieren. Ehepaare streiten sich bis zur Scheidung, weil einer dem anderen diese oder jene Schwäche nicht verzeihen kann. Eine andere Freundin schreibt ihrem Mieter, einem Ausländer: „you should be exterminated, you are not fit for our society, go back to your cardboard ghetto where you originate from. And take your psychotic daughter and schizophrenic bitch with you, you are just wasting the oxygen here“, und ich habe mich nicht getraut, den Mieter zu verteidigen.
Also ich rede gar nicht erst von dem, was in der Kirche und der Welt passiert. Diese Geschichten hier sind so lebensnah, dass ich sie wegen des Datenschutzes gar nicht genauer erzählen darf. Ich erlebe es täglich: das Zusammenleben wäre so viel einfacher, wenn wir uns im Verzeihen von Fehlern übten statt uns zu entschuldigen, wenn wir mehr über bugfixes nachdächten als über workarounds.
Womit ich bei der Softwareentwicklung angelangt wäre. In die will ich mich jetzt wieder stürzen.
Liebe Grüße aus Tallinn sendet diesmal ganz ohne Rücksprache mit seinen Damen
Luc
Diesen Rundbrief habe ich per E-Mail an alle verschickt, die in meiner Freundesliste stehen.