Meine Operation war nicht nötig

Mittwoch, 12. April 2023

Heute war ich wieder in Leuven, diesmal für eine einzige Konsultation. Vorige Woche (siehe Ein weiterer Tag in Leuven) war es meine Entlassung aus der Chirurgie, heute meine Wiederaufnahme in die Onkologie.

Leider wusste auch der Onkologe nicht, ob das Medikament der Immuntherapie in Estland von der Krankenkasse zurückerstattet wird. Aber er gab mir einen inoffiziellen Wink: falls es nicht zurückerstattet wird, kann ich die Therapie nach drei Monaten einfach abbrechen. Scheinbar ist die offiziell veranschlagte Dauer von einem ganzen Jahr übertrieben. Die entsprechenden Studien haben die Möglichkeit einer kürzeren Therapie gar nicht erst erwägt, weil ja kein Hersteller Interesse an einem wissenschaftlichen Beweis hat, dass auch drei Monate reichen.

Der Onkologe eröffnete mir auch eine andere Information, die für mich allerdings leider zu spät kommt: meine Operation hätte komplett vermieden werden können! Ich gehöre zu den ca 5% Menschen, die eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI) haben.

Was ist MSI? In unserem Körper wird ständig DNA kopiert. Dabei passieren auch immer wieder Fehler. Diese Fehler werden normalerweise durch spezielle Proteine sofort repariert. Aber Menschen mit MSI haben diese Reparaturproteine nicht. Dieses MSI ist einerseits der Grund für meinen Krebs, andererseits weiß man seit 2017, dass bei solchen Menschen die Immuntherapie alleine ausreicht, um den Tumor restlos verschwinden zu lassen: mein Immunsystem ist wegen der MSI gut trainiert, um fehlerhafte DNA-Stränge zu erkennen und zu eliminieren. Krebszellen haben eine chemische Tarnkappe, so dass das Immunsystem sie nicht als Feinde erkennt. Die Immuntherapie tut eigentlich nichts anderes als diese Tarnkappe zu zerstören. Und bei Menschen mit MSI eliminiert das Immunsystem so einen Tumor dann innerhalb von wenigen Wochen.

In Leuven machen sie routinemäßig bei der ersten Diagnose einen Test auf MSI, aber in Estland offenbar nicht. Es war sozusagen Pech, dass keiner auf die Idee gekommen ist, diesen Test bei mir noch nachträglich zu machen.

Grr! Dabei hatte ich das alles doch schon vor meiner Reise nach Belgien geahnt! (siehe Zahnschmerzen statt Krebs). Oh Gott, ich bin vor allem auf Dich sauer! Hättest du einem der Onkologen nicht schon im Dezember einflüstern können, noch schnell diesen MSI-Test zu machen? Dann hätte ich jetzt meine Speiseröhre noch. Ohne die werde ich –wenn ich das richtig verstanden habe– bis an mein Lebensende nicht mehr auf einer horizontalen Fläche schlafen können, weil dann der Mageninhalt oben wieder rausfließt. Das ist schon lästig. Wie will man mit solchen Sonderansprüchen in einem Zelt oder bei Freunden auf der Couch schlafen?

Nun gut, ich sehe ein, dass die Wirklichkeit wahrscheinlich komplexer ist als ich hier zusammengefasst habe. Und so wie ich Dich kenne, wird Dir schon was einfallen. Ich verlasse mich voll auf Dich.