Ja zur Kirche bedeutet Nein zur Unkirche

14.-16. Januar 2024

Noch Gedanken zu meinem gestrigen Eintrag.

Der Stein des Anstoßes

Mit „Unsinn“ meine ich zwei öffentliche Aussagen des Bischofs von Estland. Am 23.05.2023 wendet er sich als Bischof ans Estnische Parlament und warnt vor der geplanten Gesetzesänderung und ruft zum Gebet auf, dass „Ehe und Familie in unserer jetzigen Gesellschaft so bleiben mögen, wie Gott sie geschaffen und uns geschenkt hat“. Und am 12.06.2023 unterschreibt er zusammen mit allen anderen estnischen Glaubensführern einen Hirtenbrief zum Schutz der Ehe in dem er sich „gegen jeden Versuch zur Änderung der gültigen Gesetze, um die rechtliche und inhaltliche Bedeutung der Ehe als Bund zwischen einem Mann und einer Frau zu verschleiern oder verderben“ ausspricht.

Ob die Gesellschaft Homosexualität bejahen darf und ob folglich zwei homosexuelle Menschen eine Ehe miteinander eingehen können, ist eine Ja-oder-Nein-Frage, die die Kirche traditionell mit „Nein“ beantwortet hat, und die aber –möglicherweise– mit „Ja“ beantwortet werden müsste. Deshalb erhitzt sie die Gemüter.

Lohnt sich der Stress?

Kann es sein, dass es keine Ja-oder-Nein-Frage ist? Dass die Antwort folglich unwichtig ist?

Zum Beispiel ob man sich die Haare färben darf, das ist reine Geschmackssache, über die wir keinen universalen Konsens brauchen. (Was nicht heißt, dass diese Frage gelegentlich heftigen Streit zwischen Mutter und Tochter auslöst.) Könnte es mit der Bejahung von Homosexualität auch so sein? Also dass ein homosexuelles dänisches Ehepaar auf Urlaub in Ägypten keinerlei Probleme haben wird? Das glaube ich jetzt einfach nicht. Irgendwann wird Murphys Gesetz zuschlagen. Deshalb müssen wir uns über Homosexualität so lange streiten, bis wir zu einem weltweiten Konsens gekommen sind. Entweder müssen die Staaten, die gleichgeschlechtliche Ehen erlauben, wieder damit aufhören, oder die anderen müssen damit anfangen.

Deshalb gibt es in dieser Frage genau zwei Lager. Deshalb kann man in dieser Frage nicht zwei Herren dienen. Und unser estnischer Bischof dient offensichtlich dem einen Herrn, während unser Papst offensichtlich dem anderen dient. Ich bin so katholisch wie der Papst, aber nicht so katholisch wie der Bischof. Überspitzt formuliert verdächtige ich die estnisch-katholische Kirche der Häresie.

Solange diese Fragen nicht geklärt sind, will ich auf den sichtbaren Empfang der Eucharistie in Estland verzichten.

Über Friedfertigkeit, Geduld und Lüge

Um nochmal auf Eph 4:25-32 zurückzukommen:

  • „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens!“ – Ja, ich fühle mich geistig verbunden mit denen, die Jesus nicht kennenlernen können, weil die Hochmütigkeit und Streitsüchtigkeit pharisäerischer Gottespolizisten ihnen zuwider ist. Ja, ich bin geduldig und werde voraussichtlich bis zum Ende meines Lebens auf eine Lösung warten.

  • „Legt deshalb die Lüge ab und redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden.“ – Ja, und meine Nächsten, das sind meine Familie, meine Nachbarn, meine Freunde. Solange ich nicht einsehe, dass ich mich irre, wäre es Lüge, den Demütigen und Friedfertigen zu spielen.

  • „Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt!“ – Ja, ich „schimpfe“ mit der Kirche. Aber sind das deshalb „böse“ Worte? Ich schimpfe, um die Menschen vom Pharisäertum befreien, sie auferbauen und ihnen Nutzen bringen.

Ja zur Kirche

Ja, wir brauchen eine Kirche, die einen Glauben verkündet, dem alle Menschen aller Völker zustimmen können. Ja, die Kirche muss klare Antworten auf die Glaubensfragen unserer Zeit geben, denn es gibt kein in Menschensprache formuliertes Gesetz, das ewig gültig ist. Ja, die Kirche muss Riten regulieren, denn Glaube wächst durch Riten, und es ist nicht gleichgültig, welche Riten man befolgt, weil sie unser Weltbild sowohl bereichern als auch verderben können. Ja, die Kirche muss ihre Arbeiter und die Qualität ihrer Arbeit kontrollieren und ständig verbessern, weil kein Mensch und kein Menschenwerk perfekt ist. Ja, die Kirche muss sich für unterdrückte Menschengruppen und Völker einsetzen.

Weil ich Ja zur Kirche sage, muss ich Nein sagen zu Institutionen, die ihre Deutung der Bibel für Gottes Wort halten, die sich um ihre Gläubigen statt um alle Menschen Sorgen machen, die sich für Gottes Polizisten halten, die Drohbotschaft statt Frohbotschaft verkünden.

Wir brauchen Kirche, weil es wichtige Fragen gibt, die nur der Glaube beantworten kann. Zum Beispiel ob ich mein Geld in Fonds investieren farf, die dieses Geld verleihen an Projekte, die von Krieg, Umweltverschmutzung oder Sklaverei profitieren? Dürfen wir Gesetze verfassen, die Konzerne unterstützen auf Kosten von Menschen? Kann man nach einer gescheiterten Ehe nochmal neu heiraten? Darf ich ein ungewolltes Kind abtreiben? Darf ich einem Menschen helfen, sein Leben zu beenden? Das sind Glaubensfragen, weil all unser Wissen und Verstand keine universale Antwort darauf gefunden hat. Aber ob die Erde kugelförmig ist oder ob man Blutspenden annehmen darf, das sind heute keine Glaubensfragen mehr, weil wir darauf wissenschaftlich zufriedenstellende Antworten haben. Die Frage nach der Homosexualität gehört zu letzteren.

Hier meine Prophezeihung: Die Kirche in der digitalen Revolution werdet ihr daran erkennen, dass sie klare Sprache spricht. Sie entwickelt, veröffentlicht und pflegt ihre Lehren unter Verwendung transparenter Technologien und mit lückenloser Historie und nachvollziehbarer Argumentierung.