Ich bin Christ…

Ja, ich bezeichne mich als gläubigen Christen. Aber lass mich erklären, was das für mich bedeutet. Und glaube nicht, dass ich das in wenigen Worten tun werde.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Welchen Sinn ich im Wunder des Lebens sehe? Nun ja, laut Douglas Adams in Per Anhalter durch die Galaxie lautet die Antwort ja 42. Aber das Problem ist die Frage, nicht die Antwort.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens eines Menschen ist absurd, denn ein System hat einen „Sinn“ immer nur von außen betrachtet. Als es noch Sklaverei gab, konnte man fragen, ob ein bestimmter Sklave einen „Sinn“ hat oder nicht. Eine Firma kann sich fragen, ob ein bestimmter Mensch noch einen Sinn als ihr Kunde hat. Weil ich ein freier Mensch bin, hat mein Leben nur Sinn, wenn die ganze Menschheit Sinn hat. Die wiederum hat nur Sinn, wenn die ganze sichtbare Welt (das Universum) einen Sinn hat.

Damit das Leben, das Universum und überhaupt alles einen Sinn hat, müsste es -wenn schon- eine Welt außerhalb der sichtbaren Welt geben. Eine hypothetische, unfassbare, übernatürliche Welt. Etwas, das noch nicht mal einen klaren Namen hat, weil es größer ist als alles was wir Menschen je begreifen können, weil es per definitionem außerhalb menschlichen Denkvermögens liegt.

Alle Glaubenssysteme tun mit unterschiedlichen Konzepten letzten Endes das Gleiche: sie setzen eine Welt außerhalb der sichtbaren Welt voraus, die unserem Leben einen Sinn gibt.

Um die Sache anschaulicher zu machen, hat dann vor ungefähr 3500 Jahren ein abgesehen davon völlig besitz- und belangloses Nomadenvolk einen allmächtigen „Gott“ erfunden, der dieses „Himmelreich“ regiert.

Und ich finde das auch heute noch das vernünftigste Denkmodell, um über Glaubensfragen nachzudenken.

Zusammenfassung bis hier: Ob das Lebens einen Sinn hat, hängt davon ab, ob es Gott gibt.

Wir wissen es nicht

Bevor wir weiter denken, lasst uns das nochmal verinnerlichen: ob Gott existiert oder nicht (ob das Leben einen Sinn hat oder nicht), das ist und bleibt für alle Menschen definitiv Hypothese. Wir können weder Gottes Existenz noch seine Nichtexistenz beweisen.

So wie ein Apfelbaum nicht begreifen kann, was ein Gärtner ist, oder so wie ein Wassermolekül nicht begreifen kann, was eine Leberzelle ist, oder so wie eine Leberzelle nicht begreifen kann, was ein Mensch ist, genau so kann ein Mensch nicht begreifen, was Gott ist.

Um es noch mit einem anderen Bild zu veranschaulichen: kann denn ein Kind, das im Mutterleib heranwächst, sich unsere Welt vorstellen? Es kann etwas davon ahnen, wenn seine Sinne zu funktionieren beginnen und es die Bewegungen der Mutter oder Geräusche von außerhalb wahrnimmt. Aber insgesamt ist unsere Welt völlig unbegreifbar für Föten. Ebenso könnte es sein, dass es eine Welt außerhalb der für uns «sichtbaren» Welt gibt, die für uns völlig unbegreifbar ist, und in der wir nach unserem irdischen Tode in einer Form weiterleben, über die wir aber unmöglich schon vor unserem Tode Näheres erfahren werden.

Die Frage «Existiert Gott?» ist also weder wissenschaftlich noch rationell mit einem Ja oder Nein beantwortbar. Es gibt keine Studie, die Gott wissenschaftlich korrekt beweist oder widerlegt.

Wer das verstanden hat, der darf mit Sokrates sagen „Ich weiß, dass ich es nicht weiß“.

Eine wichtige Frage

Das Problem mit dieser unbeantwortbaren Frage der Gottesexistenz ist, dass jeder sie insgeheim trotzdem beantwortet. Denn was man weiß und was man glaubt, das sind zwei sehr verschiedene Dinge.

Manche Menschen glauben, dass man sich an der Frage nach Gott vorbei mogeln kann. Agnostiker lehren, dass die Gottesfrage unwichtig ist.

Aber ich behaupte, dass Agnostizismus in der Praxis nicht machbar ist, weil unser Gehirn sozusagen keinen Parallelprozessor hat. Unser Denken versagt, wenn wir diese Frage offen lassen, weil die Antwort darauf zu viele andere Entscheidungen beeinflusst.

Das ist als wärest du Kapitän eines Linienschiffes mitten auf dem Ozean und wüsstest momentan nicht, ob du auf dem Weg nach New York bist oder auf der Rückfahrt. Es hat keinen Sinn, weiter zu fahren, solange du diese Frage nicht geklärt hast.

Also auch wenn ich weiß, dass ich es nicht weiß: die Wirklichkeit fordert von mir Entscheidungen, und ich kann mich nicht daran vorbei mogeln.

Die unbeantwortbare Frage der Gottesexistenz zieht nämlich einen Rattenschwanz von weiteren Fragen nach sich, deren Antwort sehr davon abhängt, ob Gott existiert oder nicht, und die deshalb ebenso unbeantwortbar sind.

Zum Beispiel:

  • Gibt es ein Leben nach dem Tod, eine Welt jenseits der für uns sichtbaren Welt?

  • Muss ich im Leben „lieb“ sein, damit ich nach meinem Tod „in den Himmel“ komme?

  • Sind alle Menschen gleich viel wert?

  • Müssen die Starken die Schwachen beschützen?

Unabhängig von theoretischen Denkkonstrukten leben wir in der Wirklichkeit und handeln bewusst und unbewusst entweder in die eine oder die andere Richtung. Deshalb hat unsere persönliche hypothetische Antwort auf die Gottesfrage und die davon abhängigen großen Glaubensfragen des Lebens tief greifende Konsequenzen auf quasi alle unsere täglichen Entscheidungen.

Die beiden möglichen Antworten auf die Frage nach der Gottesexistenz führen zu zwei grundverschiedenen Wertesystemen. Das eine nenne ich „Frohe Botschaft“ und das andere „Stärkekult“. Diese beiden Systeme führen in vielen wichtigen Lebensfragen zu widersprüchlichen Lösungsansätzen.

So tun als ob

An Gott zu glauben bedeutet für mich zunächst, dass ich sagen kann „Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber ich so tu so als ob“. Ich entscheide mich für die Frohe Botschaft und somit gegen den Stärkekult.

Das bedeutet, dass ich mich bewusst für die Hypothese der Gottesexistenz und ihrer Konsequenzen entscheide. Glaube an Gott beginnt, wenn ich bereit bin, anzunehmen, dass es einen Gott gibt, und mein Leben nach dieser Hypothese auszurichten.

Ich finde das überhaupt nicht unwissenschaftlich, weil die Alternative (nämlich so zu tun, als ob Gott nicht existiere) genau so hypothetisch ist. Jeder Mensch tut oft so als ob irgendwelche Hypothesen stimmen, die er gar nicht beweisen kann. Und von denen er sogar vergisst, dass es nur Hypothesen sind.

Es ist auch kein Selbstbetrug, denn man kann nicht nicht glauben Manche Menschen bezeichnen Leute wie mich als „Gläubige“ und sich selbst folglich als „ungläubig“. Das nenne ich Selbstbetrug. Man redet sich ein, dass man etwas wüsste über Gott (nämlich dass er nicht existiert).

Das Wort „ungläubig“ finde ich absurd. Man kann nicht nicht glauben. Atheisten sind nicht ungläubig, sondern sie glauben an Gottes Nichtexistenz.

Selbst Agnostiker sind genau so „gläubig“ wie „Gläubige“. Der einzige Unterschied ist, dass sie ihren Glauben nicht kultivieren durch Rituale oder ehrfürchtiges Lesen einer Heiligen Schrift.

Ich finde auch nicht, dass Fundamentalismus unter Atheisten weniger verbreitet wäre als unter Christen, Moslems oder Buddhisten.

Meinen Glauben kultivieren

Wir alle schwimmen bei den existentiellen Glaubensfragen im Strom unserer Zeit mit. Wir begegnen anderen Menschen, deren Verhalten wir wahrnehmen, und mit denen wir eventuell auch über solche Fragen reden, und unsere intuitive Antwort (das, was wir glauben) wird durch diese Erfahrungen beeinflusst. Sie „wächst“ und entwickelt sich ständig. In die eine oder andere Richtung.

Wenn wir unseren Glauben nicht bewusst durch einen von uns gewählten „Trainer“ kultivieren lassen, dann erfüllt eine unbewusste Auswahl anderer Akteure diese Aufgabe: eine Partei, ein Fernsehsender, ein Buchautor.

Religiös sein bedeutet für mich, dass ich mich auf eine bestimmte Glaubenslehre verlasse, meinen Glauben von ihr kultivieren lasse.

Wir sind ja eine relativ aufgeklärte Zeit in dem Sinne, dass wir relativ frei entscheiden können, wem wir bei solchen Fragen vertrauen und wem nicht. Die nächste Frage ist also, welche Lehre ich wähle, wen ich zu meinem Trainer ernenne, von wem ich den Garten meines Glaubens kultivieren lasse.

Gottes Bodenpersonal

Heutzutage zögern viele Menschen, einer bestimmten Religion zu folgen, weil sie mit deren Trainern nicht zufrieden sind.

Ja, es ist nicht zu übersehen: die „Frommen“ und „Priester“ jeder Religion unterliegen der menschlichen Versuchung, sich für besser als diejenigen zu halten, die weniger beten, weniger über Gott nachdenken und seltener an Gottesdiensten teilnehmen. Siehe Bibelfetischisten.

Wenn ich dann noch lese Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. (Mt 7,21), dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Volkstanzgruppe oder der Männerchor von Vigala „christlicher“ sind als die Kirchengemeinde.

Trotz dieser kritischen Beobachtungen sage ich entschlossen Ja zu Kirche und Bibel.

Denn es geht nicht ohne Gemeinschaft, und Gemeinschaft geht nicht ohne ein Dokument, das die „Statuten“ definiert und festschreibt.

Denn das Christentum lehrt in seiner Heiligen Schrift ganz klar eine kritische Haltung gegenüber allzu frommen und selbstbewussten Glaubenslehrern. Dass diese Erkenntnis in der Praxis auch heute noch immer wieder zu kurz kommt, liegt daran, dass Gottes Bodenpersonal eben auch nur Menschen sind.

Ich glaube, dass die Frohe Botschaft kultiviert werden muss und dass die Bibel ein unersetzliches Hilfsmittel dabei ist, das allerdings richtig verstanden und genutzt werden muss.

Die Bibel als Heilige Schrift

Die Bibel als Heilige Schrift der Christen (d.h. die einzige autoritative schriftliche Grundlage unserer Glaubenslehre) ist bei der Kultivierung des Glaubens ein wichtiges Werkzeug. Nicht dass sie perfekt wäre, aber es gibt nun mal keine andere „Definition“ dieser Lehre . Und bisher habe ich nichts Besseres gefunden. Milliarden von Menschen haben sich seit Tausenden von Jahren mit diesen Glaubensfragen auseinandergesetzt, haben ihre Erfahrungen niedergeschrieben, die Erfahrungen anderer gesammelt, miteinander diskutiert und gestritten. Natürlich wird diese Diskussion nie abgeschlossen sein, natürlich werden wir nie eine perfekte Glaubenslehre haben, weil die Fragen ja, wie wir gesehen haben, unbeantwortbar sind. Aber man kann nicht ständig das Rad neu erfinden. Obwohl die Bibel auch missbraucht werden kann, ist und bleibt sie das einzige brauchbare Rad.

Andererseits glaube ich gerade als Christ, dass keine Heilige Schrift die Frohe Botschaft vollständig enthält. Deshalb habe ich kein Problem mit Menschen, die eine andere Heilige Schrift als Glaubenslehre verwenden. Zumindest solange besagte Menschen mich nicht daran hindern, Christ zu bleiben.

Ich distanziere mich vehement von Bibelfetischismus und Drohbotschaft, weise aber genau so vehement darauf hin, dass wir alle im selben Boot sitzen und uns nichts anderes übrig bleibt, als auch über diese Themen zu streiten. Und dass wir dabei nie die Liebe zu unseren Gegnern verlieren dürfen.

Fazit

Als Christ glaube ich an die Frohe Botschaft und kultiviere diesen Glauben. Gläubig sein bedeutet für mich, dass ich einen Teil meiner Zeit mit „Glaubenstraining“ verbringe, d.h. mit geistigen Tätigkeiten wie Beten oder Bibellesen, und dass ich mich auch regelmäßig mit anderen Leuten treffe, die so was machen. Auch Gottesdienste gehören zu diesem Training.

Christ sein bedeutet für mich, dass ich sage „Jesus Christus ist mein Herr und mein Gott“. Das bedeutet, dass die Frohe Botschaft mein oberstes Gesetz ist.

Also kein Menschengesetz (auch nicht das Grundgesetz meines Heimatlandes oder die Richtlinien der EU oder der UN) darf mich berechtigen oder verpflichten, gegen mein Gewissen (meine innere Stimme) zu handeln.

Andererseits ist auch mein Gewissen nicht „mein Herr und mein Gott“. Ich akzeptiere, dass es sich möglicherweise irrt. Deshalb bin ich im Konfliktfall eher bereit, selber zu „sterben“ (nachzugeben) als anderen Menschen Leid zuzufügen.

Das alles gilt nur in der Theorie, denn in der Praxis stellt sich fast täglich raus, dass ich längst nicht immer ein guter gläubiger Christ bin.