Macchiato mit vier Silben

This article is in German, for a Google translation click here

Mittwoch, 5. März 2025

Am Sonntag war ich auf einem Konzert der Musikschule von Nõmme, bei dem auch Iiris mitspielte. Es war das Abschlusskonzert der „Posaunentage“, also auf der Bühne waren nur Blechbläser der unteren Stimmlage: Althorn, Euphonium, Posaune und Tuba.

Beim letzten Stück sprachen die Musiker an drei Stellen einen kurzen Text. Das ist so ein besonderer Effekt. Was sie da sagten, verstand ich allerdings leider nicht. Später las ich den Titel des Stücks auf Iirisens Partitur: „Espresso macchiato“. Aha, das haben sie also gesprochen. Ich wunderte mich, dass sie das „macchiato“ falsch ausgesprochen hatten. Sie hatten eindeutig „mak-i-aa-to“ statt „mak-jaa-to“ gesagt, das „i“ hatte eine eigene Silbe bekommen statt sich mit dem „a“ dahinter zu verbinden, vier Silben statt drei. Ich vermute, dass ein italienischer Muttersprachler „macchiato“ niemals viersilbig aussprechen würde, und davon abgesehen ja gar nicht von „espresso“ reden, sondern es „caffè macchiato“ nennen. Ich schlussfolgerte deshalb, dass der Komponist kein Italiener sein konnte.

Mehr wollte ich gar nicht wissen. Etwas Wertvolles würde ich sicherlich nicht verpassen.

Aber heute schrieb mir ein Freund, dass es in Lettland „einige Fans des estnischen Musikanten Tommy Cash mit dem dubiosen ESC Beitrag“ gebe. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Wer ist Tommy Cash und was bedeutet ESC? Und als ich danach im Internet suchte, fand ich besagten Titel wieder. Wiedersehen macht ja Freude, deshalb erfuhr ich nun, dass Tommy Cash ein estnische Rapper ist, der ein Lied mit diesem Titel geschrieben hat und damit Estland beim Eurovisionswettbewerb vertreten wird. Auf YouTube fand ich das offizielle Video des Liedes an und wusste nun, dass ich am Sonntag tatsächlich ein Arrangement dieses Liedes gehört hatte.

Auf dem Video schaut der junge Mann blasiert und herablassend in die Kamera und mischt sich einen Milchkaffee in einem Pappbecher, den er aus einer Papiertüte holt. Zucker aus einer Portionspackung und Wegwerfstäbchen aus Holz statt Löffel zum Umrühren. Das alles erledigt er offenbar routinemäßig. Also wenn der das jeden Morgen so macht, verbraucht allein dieser junge Mann einen Zentner Holz pro Jahr für seinen morgentlichen Kaffee. Und wenn seine vielen Fans ihm das nachmachen, dann frage ich mich, wie lange es in Estland noch Wälder geben und unser Planet noch bewohnbar sein wird.

Musikalisch ist das Stück ja ganz nett, aber auch nur, weil es L’italiano von Toto Cutugno imitiert. Da höre und sehe ich mir doch lieber das Original an.

Nee, sorry Leute, wenn ich Este wäre, würde ich mich schämen, dass mein Volk durch dieses Lied beim Eurovisionswettbewerb verteten wird. Und wenn ich die Posaunentage mitgeplant hätte, hätten die Teilnehmer ein anderes Stück eingeübt.

Als ich zu Iiris sagte „Dieses Stück, das ihr am Sonntag gespielt habt, ist von einem Tommy Cash, der damit für Estland zum Eurovisionswettbewerb geht“, winkte sie ab und meinte nur „Dann weißt du mehr darüber als ich“.