Die Kirche und ich

Begonnen am 28. August und zuletzt bearbeitet am 24. September 2024.

Liebe Freunde, die ihr euch noch in der einen oder anderen kirchlichen Institution engagiert.

Ich habe mich in Estland 20 Jahre lang mit ganzem Herzen für die katholische und lutherische Kirche eingesetzt, habe mit euch versucht, den großen Karren aus dem tiefen Graben zu ziehen.

Aber seit Anfang März 2024 (sh. Immer mit der Ruhe) will ich meine Zeit nicht mehr mit „unnützen“ Aktivitäten vergeuden. Und ob eine Aktivität „nützlich“ ist, zeigt Gott mir durch Menschen, die meine Arbeit wertschätzen. Und leider erinnere ich mich nicht, von irgendeiner kirchlichen Institution jemals irgendeine Form von Wertschätzung meiner Arbeit signalisiert bekommen zu haben. Zwischenmenschliche Wertschätzung kriege ich ständig und bin dafür dankbar, aber die kirchlichen Institutionen in Estland haben offenbar ein Problem mit Leuten wie mir.

Wenn ich mit irgendeiner Aufgabe in der Kirche meine Familie ernähren könnte, dann würde ich jetzt anders reden. Aber ich habe nun mal Softwareentwicklung und nicht Theologie gelernt. Folglich muss ich Gott loben, indem ich Software schreibe und nicht, indem ich andere Leute zum Gebet aufrufe. Letzteres ist Aufgabe der Profis, und die Profis wollen nicht, dass Amateure ihnen ins Handwerk pfuschen. Bitteschön, dann macht euer Handwerk ohne mich.

„Wieso gehst du dann noch zur Messe? Gott hat das doch nicht nötig,“ sagt Ly mir. Ja, Gott hat mich nicht nötig, aber ich ihn. Die Sonntagsmesse ist das Minimumprogramm der Kirche, und das will ich mitmachen. Das ist meine persönliche nonverbale Kundgebung, dass ich weiterhin an die ideale Kirche glaube, also an die weltweite Gemeinschaft aller Menschen, die der Frohen Botschaft vom Reich Gottes folgen, die durch Jesus Christus offenbart worden ist. Ich glaube sogar noch etwas konkreter, dass die Römisch-Katholische Kirche am nächsten dran ist an diesem Ideal. Was immer ihre –durchaus berechtigten– Kritiker auch dazu meinen. Und die Texte der Bibel sind nun mal meines Wissens der beste Versuch, das Evangelium in Menschenworte zu fassen. We sich weigert es zu versuchen, der steht in deinem Leben da wie ein Analphabet mit einem Brief.

Ich sage also weiterhin „Ja zur Kirche“. Diese Kirche hat freilich einige Bugs, die behoben werden sollten. Ich halte folgende Änderungen für längst überfällig:

  • Unterscheidung der drei Ämter „Priester“, „Apostel“ und „Seelsorger“. Apostel sind die leitenden Entscheidungsträger („Hirten“) und die einzigen, die unverheiratet und kinderlos sein müssen („Zölibat“). Priester leiten Gottesdienste, Messen und andere Gebetsversammlungen. Seelsorger hören die Beichte und erteilen Absolution.

  • Gleichberechtigung der Frau. Alle Ämter können unabhängig des Geschlechts wahrgenommen werden.

  • Offenlegung der Kirchenlehren. Die Gesamtheit der kirchlichen Lehren muss wie freie Software entwickelt, veröffentlicht und gewartet werden. Mit den gleichen Werkzeugen und Methoden, die bei der Entwicklung freier Software verwendet werden. Versionskontrolle, öffentliche Diskussion und Historie. Das ist nötig, um klare Distanzierung von Irrlehren und klare Stellungnahmen in heißen Themen zu erarbeiten. Beispiele von modernen Irrlehren (aber das ist jetzt nur meine momentane Meinung): Dass ein Papst vermeidbar sei, dass die Bibel als Gesetzbuch verstanden werden dürfe, dass Priester außergewöhnliche Menschen seien, oder dass Homosexualität Sünde sei.

Die Behebung dieser Bugs ist zwingend nötig, weil sie die Kirche bei der Erfüllung ihrer Aufgabe behindern.

Die oberste Aufgabe der Kirche ist es, allen Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden. An dieser Aufgabe versagt die Kirche in modernen Kulturen momentan fast völlig. Weil sie dort nicht mehr erst genommen wird. Leute mit gesundem Menschenverstand können die Kirche nicht mehr ernst nehmen, weil sie stellenweise Unsinn redet.

Die Behebung dieser Bugs ist nicht nur zwingend sondern auch dringend nötig. Weil die Menschheit dabei ist, mit voller Wucht gegen die Wand zu fahren. Demokratieverfall, Versklavung, Kriege, Umweltverschmutzung, Klimawandel, …

Aber offenbar hat Gott andere Auffassung von Zeit und offenbar werde ich diese Änderungen nicht mehr als Lebender sehen.

Der Sinn des Lebens besteht darin, Gott zu loben und Zeugnis für das Evangelium abzulegen, so zumindest meine persönliche Formulierung. Bisher glaubte ich, dass die vielen sichtbaren kirchlichen Institutionen irgendwie Teil der heiligen (idealen) Kirche sein müssen, auch wenn ich nicht immer mit allen Details einverstanden bin. Aber man erkennt einen Baum an seinen Früchten. Die Früchte einer kirchlichen Institution sind das, was sie in der Öffentlichkeit sagt und zeigt. Nicht in allem, wo „Kirche“ drauf steht, ist auch Kirche drin. Nicht alles, was „Herr Jesus“ ruft, tut auch den Willen Gottes.

Aber lassen wir das. Ich bin des Redens müde.