September 2023¶
Sonntag, 17. September 2023
Hallo Freunde,
oufti, wie die Zeit vergeht! Schon seit zwei Monaten habe ich euch nicht mehr erzählt, wie es uns geht! Die kurze Antwort lautet natürlich „gut“.
Nach der Beerdigung meiner Mutter haben wir den Rest des Sommers hauptsächlich in Vigala verbracht. Nach einem Jahr Pause genoss ich es, wieder in der Vigala schwimmen zu gehen, in der Sauna zu sitzen oder bei schönem Wetter meine Badenixen zum Bus nach Pärnu zu begleiten, wo sie einen Tag am Strand verbringen.
Aber der Sommer war schnell vorbei. Mari hat begonnen, Textildesign zu studieren in Tartu (in der Höheren Kunstschule „Pallas“). Tartu ist zweieinhalb Autostunden von Tallinn entfernt, Mari brauchte also ein kot[1].
Weil wir bei der Wohnungssuche mitreden wollten, bin ich die Strecke Tallinn-Tartu in den vergangenen zwei Monaten schon häufiger gefahren als in den zwanzig Jahren davor. Insofern war ich besonders froh, als Mari am 23. August ihre Führerscheinprüfung bestanden hat.
Iiris hat die neunte Klasse im Deutschen Gynasium Tallinn begonnen, und sie hat dort eine nette Clique von Freundinnen. Sie lernt jetzt zusätzlich zur Posaune auch Bassgitarre. Das ist eine Nebenwirkung eines Musiklagers, an dem sie diesen Sommer mit der Posaune teilgenommen hatte. Man merkt, dass sie früher mal Geige gespielt hat: kurz nachdem sie ihre Gitarre ausgepackt hatte, spielte sie darauf schon das erste Hauptthema aus Anton Bruckners Fünfter Sinfonie (hier ab Minute 3:25 zu hören), oder genauer gesagt nicht Bruckners Original, sondern das sehr ähnlich klingende Riff aus Seven Nation Army. Sogar Fußballfans kennen diese Melodie gut, aber ich Kunstbanause habe sie erst jetzt auf diesem Umweg über meine Tochter kennengelernt. Vater eines Teenagers zu sein ist nicht immer leicht, aber es hat doch seine Vorteile.
Lino läuft und entwickelt sich weiterhin zur Zufriedenheit aller Beteiligten (siehe z.B. Lino ist super), und ich staune weiterhin, dass das für Außenstehende scheinbar so schwer zu glauben ist. Ich gebe ja zu, dass die von mir erstellten Demos und Webseiten die Sache nicht so gut präsentieren, wie Lino es verdient hätte, aber ich bin nun mal stur davon überzeugt, dass ein anderer als ich sich um die Vetriebsarbeit kümmern sollte. Ich sehe Lino nicht als mein Privateigentum, sondern als Gemeingut. Und im Grunde passt es mir in den Kram, dass ich nur eine kleine Kundengemeinschaft habe. Ich hoffe trotzdem, dass uns demnächst mal ein neuer Kunde findet.
Mit dem Essen und dem Schlafen habe ich noch so meine Nöte. In den ersten Monaten nach der OP glaubte ich noch, dass mein Magen mit etwas Training wieder wie früher wird. Nur langsam wird mir bewusst und nur langsam finde ich mich damit ab, dass ich das angenehme Gefühl des Sattseins wohl nie mehr erleben werde. Das ist hart, denn immerhin bin ich mit Asterix und Obelix als Bettlektüre aufgewachsen.
Vom 1. bis 15. Oktober werde ich noch mal wieder nach Eupen kommen. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil ich mit meinen Geschwistern persönlich zu den Banken gehen muss, damit diese die Konten unserer Mutter frei geben. Weshalb das so verkehrsfördernd und klimabelastend geregelt ist, habe ich noch nicht verstanden.
Das Reisedatum kommt daher, dass der Löwener Onkologe mich Anfang Oktober eigentlich nochmal in Löwen scannen wollte (Details siehe Abschlussbericht des Onkologen). Daraus wird aber nichts, weil sein estnischer Kollege findet, dass sie mich in Tallinn genau so gut wie in Löwen scannen können.
Vorletzten Dienstag hatte ich meinen ersten Termin beim estnischen Onkologen, und schon am Freitag der gleichen Woche bekam ich meinen zweiten Kontroll-Scan nach der OP gemacht. Und am kommenden Dienstag kriege ich das Resultat dieses Scans mitgeteilt. Wir hoffen natürlich, dass die im Juli in Löwen gesichteten hyperaktiven Lymphdrüsen sich beruhigt haben. Andernfalls wird es spannend.
Spannend genug ist unser Leben auch so schon. Zum Beispiel hatten wir im August zwei Mieterwechsel auf einmal in den beiden Wohnungen, die wir in Tallinn vermieten. Eine davon muss neu tapeziert werden, weil die Mieter eine Katze hatten, und in der anderen sorgt eine veraltete Abwasserkanalisation für Überraschungen.
Die Wohnung mit der oben erwähnten veralteten Abwasserkanalisation ist die Zweizimmerwohnung am Tallinner Bushof, in der wir von 2001 bis 2006 gewohnt haben. Dort wohnt seit August ein echter reinrassiger Russe, der aber sehr gut Estnisch spricht. Der kann im Moment nicht duschen, weil es dann in der Wohnung darunter zu tropfen beginnt. Deswegen war ich vorige Woche mehrere Male hingefahren, um mit den Nachbarn das Problem zu erkunden. Am Dienstagmorgen war Termin vor Ort mit einem Klempner, der nur russich konnte, so dass ich froh war, dass unser Mieter als Dolmetscher fungierte. Der Klempner bestätigte, was wir schon ahnten: dieses Problem können wir nicht auf eigene Faust lösen, sondern hier muss die gesamte Wohnungseigentümergemeinschaft mitmachen. Und ratet mal, wer das alles koordinieren will.
Unsere andere Mietwohnung ist die in Mustamäe auf dem achten Stock eines Plattenbaus, in der wir von 2016 bis 2020 gewohnt haben. Seit Mittwoch bin ich dort ganztags renovieren gegangen. Eigentlich sollte diese Wohnung schon am 5. September tapeziert und angestrichen worden sein, aber der Handwerker, der uns das versprochen hatte, ein reinrassiger Este, hat uns zunächst eine Woche lang hingehalten, weil er krank sei, und hat dann letzten Endes komplett abgesagt. Ich habe noch nicht rausgefunden, welche Krankheit er hat und ob wir unsere 200 Euro Anzahlung zurück bekommen.
Wohnungen zu vermieten ist so eine Sache. Eigentlich sind Ly und ich nicht die Typen dafür. Aber dieses Hobby macht seit Jahren ungefähr die Hälfte unseres monatlichen Einkommens aus. Solange alles gut geht. Und ich finde es recht bereichernd: immerhin habe ich jetzt erstmals einen Russen als Freund. Und welcher Programmierer wird von seinem Arbeitgeber zum Anstreichen freigestellt!
Ob wir die Typen dafür sind, sei dahingestellt, aber Maris Studentenbude in Tartu haben wir nach einigem Hin und Her nicht gemietet, sondern gekauft. Ich wollte doch das Geld aus dem Verkauf meines Elternhauses (siehe Von Studien, Häusern und Mägen) nicht länger auf der Bank rumliegen lassen. Jetzt besitzen wir also insgesamt fünf Wohnungen, von denen wir drei selber bewohnen. Wir sind verrückt.
Jetzt glaubt aber nicht, dass nur die Mietwohnungen Arbeit verursachen. So ein Landhaus in Vigala bringt auch im Herbst viel Zeitvertreib.
Liebe Grüße aus Vigala, Tallinn und Tartu senden
Luc mit Ly, Mari und Iiris
Diesen Rundbrief habe ich per E-Mail an alle verschickt, die in meiner Freundesliste stehen.