Die wollen mir den Magen amputieren!¶
Dienstag, 11. Oktober 2022
Am 19. September bei der Magenspiegelung (sh. Von Studien, Häusern und Mägen) hatte die Ärztin vor meinen Augen (ich schaute über Bildschirm zu) mit einer 2,4 mm langen Krokodilszange zwei Stückchen aus meiner Magenschleimhaut rausgebissen. Das nennt man Biopsie.
Das Resultat dieser Aktion erfuhr ich vorigen Montag. Da rief sie an und teilte mir mit, dass es laut Biopsie ein Krebs („Adenokarzinom“) sei, und dass die einzig mögliche Therapie die komplette Entfernung des Magens (Gastrektomie) sei. Ich hoffte aber, dass sie routinemäßig aufs Vorsichtspedal drückt.
Als ich sie fragte, ob die Biopsie denn eine Helicobacter-Infektion gezeigt hätte, meinte sie, das sei unwichtig, sie glaube nicht daran, dass Helicobacter etwas damit zu tun haben. Hallo? dachte ich. Und als ich ihr sagte „Meine Frau ist ziemlich auf Alternativmedizin…“, da rief sie „Gott bewahre! Lassen Sie sich bloß nichts einreden!“ Eines war mir seitdem klar: ich werde eher auf meine Frau hören als auf diese Ärztin.
Unabhängig von Frauen- und Glaubensfragen hatte ich mich seitdem mit dem Thema Gastrektomie auseinander gesetzt. Ich hörte von Nachbarn und Verwandten von Freunden, die ganz ohne Magen ganz normal leben bzw. gelebt haben.
Trotzdem kann ich mir noch immer nicht vorstellen, dass auch ich mir so einfach den Magen rausoperieren lassen werde. Allein schon weil ich mit Asterix und Obelix aufgewachsen bin. Oder weil ich, als ich (hier) las, dass „drei bis zehn Prozent“ der Patienten „während oder unmittelbar nach der Operation“ sterben, meine eigene Stimme spürte, die aus dem Bauch raus witzelte, dass ich mit 80-prozentiger Sicherheit zu diesen drei Prozent gehöre.
Heute war nun Termin beim Onkologen in Tallinn. Bis zuletzt hoffte ich, der würde sagen „Wir schneiden natürlich nur das Stück mit dem Tumor raus und beobachten dich dann“. Ich war Nummer 343 in der Warteschlange.
„Sie wollen mir also den Magen rausschneiden“, eröffnete ich das Thema nach den Eröffnungsversen. Antwort: „Och sagen wir: erzählen Sie mir doch lieber zuerst mal Ihre Krankheitsgeschichte“. Er hörte mir zu und meinte dann „Alle Ihre Symptome bestätigen genau die Diagnose, die der Spezialist aufgrund der Biopsie gemacht hat. Ja, Ihr Magen muss komplett entfernt werden. Vorher und nachher jeweils 4 Monate Chemotherapie. Das ist Routine. Das wird überall in der Welt so gemacht. Und das ist auch gar nicht so schlimm. Bier und Schaschlik verträgt man danach nicht mehr, aber ansonsten alles, nur eben nicht so viel auf einmal.“
„Aber Schnaps darf ich noch trinken?“ fragte ich nach. „Ja, es darf nur keine Kohlensäure drin sein.“ – „Aha, also auch keine Limonade.“ – „Jepp“. Ich dachte an „Limpa“, eine Brausegetränk mit einem unvergleichlichen Geschmack aus Karamell und einigen Gewürzen, das es nur in Estland gibt und das neben Brot und Käse zu meinem „Wie-werde-ich-für-drei-Euro-glücklich-und-satt“-Paket gehört. Aber davon erzählte ich ihm nichts.
Der Doktor war inzwischen schon auf der Zielgerade unseres Gesprächs. „Morgen ist Ärztekommission, dann planen wir die kommende Woche, und wenn Sie einverstanden sind, können Sie schon bald die Chemotherapie starten.“ Ich sagte klar, dass ich das heute nicht entscheiden werde, und er hat mich dann trotzdem eine Blutabnahme und ein EKG machen lassen, damit diese Aufnahmeprozeduren erledigt sind.
Ly war mitgekommen, weil ich sie drum gebeten hatte. Und ich bin froh drüber. So hat sie diese Sitzung mit angehört. Nach dem Gespräch ging sie im Café des Spitals auf mich warten.
Eigentlich hatte ich mich sehr wohl schon heute entschieden: nein, ich traue der Sache nicht! An dieses Sytem glaube ich nicht! In einer business school könnte man eine Videoaufnahme unseres Gesprächs als „Beispiel eines Verkaufsgespräches mit einem schwierigen Kunden“ zeigen! Ich steige lieber aus!
Ja, hier bin ich: noch so ein Verrückter, der sein Leben opfert um auszuprobieren, wie man eine bösartigen Tumor ohne OP wieder los wird. Wie lange werde ich es aushalten? Ein paar Monate? Ein paar Jahre? Oder gar Jahrzehnte? Eines wissen wir: irgendwann ist sowieso Schluss. Ich habe keine Angst. Ich habe eh nie vorgehabt, alt zu werden. Vielleicht schaffe ich es ja, meine Erlebnisse in medizinisch verwertbarer Weise zu dokumentieren.
Dann mit Ly im Café. Ich bestellte das Tagesgericht: Hackkotlett mit Sauerkraut, Preiselbeeren und Kartoffeln. Schmeckte mir vorzüglich. „Lass die Kartoffeln liegen“ meinte Ly. Das tat mir zwar Leid, aber ich gehorchte.
Mit diesem Gedanken habe ich mal nach „krebs operation verweigert“ gesucht. Erste Antwort: ein Artikel aus der FAZ von 2019, wo der Saxophonspieler Wilson de Oliveira die Behandlung seines Mandelkrebses verweigert hatte und 9 Jahren später noch immer lebte. In seinem Wikipedia-Artikel stand das noch gar nicht. Also echt! Diesen Missstand habe ich mal gleich behoben.
Vom Krankenhaus aus spazierten wir per Umweg nach Hause, um in der Bibliothek von Nõmme ein Buch abzuholen, das Ly mir dort bestellt hatte: Meta-Medizin von drei Autoren namens Trine Helgerud, Bent Madsen und Dagfrid Kolås.
Was wird jetzt aus TIM und Lino? Die beiden sind das Letzte, das ich aufgeben werde. Zur Illustration: vor dem Arzttermin hatte ich eine Stunde programmiert für ein Kundenprojekt, das momentan in Châtelet läuft (Details). Dort verwalten Sie die Empfangs-Warteschlange auch mit Lino und hatten angefragt, dass jeder Wartende eine eigene Nummer bekommt, die immer gleich bleibt. Was glaubt ihr wohl, weshalb ich das obige Foto gemacht hatte? Mit Sharif hatte ich gestern noch eine Zwei-Stunden-Sitzung; er arbeitet zur Zeit an den desktop notifications und der asynchronen Prozesssynchronisierung. Hannes testet zur Zeit am Ticket 4674, d.h. wir könnten die Installation und Wartung von Diaspora-Servern als Dienstleistung anbieten.