Zwei Schulanfänge zugleich¶
Dienstag, 1. September 2015. Heute um 10 Uhr war in Vana-Vigala Iirisens Einschulungsfeier. Vier Kinder beginnen im ersten Schuljahr. Weil das zu wenig für eine ganze Lehrerin sind, kommen sie mit den drei Kindern des dritten Schuljahres in eine gemeinsame Klasse.
In Estland kriegen die Erstklässler keine Schultüte, sondern Blumen, Lobreden und Glückwünsche. Überhaupt ist der 1. September gesetzlicher Feiertag.
Nach der Feier hatte jede Klasse mit ihrem Lehrer noch eine Stunde für die traditionellen Aktivitäten des ersten Schultags. Aufstellen zum offiziellen Klassenbild, die erste und letzte Klasse pflanzen gemeinsam den Klassenbaum. Zur ersten Stunde der Erstklässler kommen die Eltern noch mit.
In der Eingangshalle der Grundschule hing wie seit 15 Jahren der Schaukasten mit den Fotos der Klassenbesten. „Die Besten unserer Schule“ steht darüber. Maris Bild ist im Laufe der vergangenen Jahre von der ersten bis zur sechsten Klasse gewandert. Aber jetzt ist damit ja Schluss, bis in die neunte Klasse wird es nicht kommen. Schon bevor Mari geboren wurde, bei unserer Hochzeitsfeier, fand ich diesen Kasten asozial, weil er eine Erhöhung des Konkurrenzkampfes ist. Das ist wie der Akelazahn bei den Wölflingen, aber viel heftiger. Den Akelazahn finde ich noch okay, zumal die Pfadfinderei dessen schädliche Nebenwirkungen auf das Zusammenleben durch anderweitige Tätigkeiten wieder gut macht. Aber diese auffällige Ehrerweisung, an der alle Schüler, auch die, die nicht dort hängen, täglich mehrmals vorbei gehen, das finde ich ungesund fürs Klima.
Und dann ab mit dem Auto nach Tallinn. Mari war schon gestern mit dem Bus nach Tallinn gefahren. Wir kamen gerade noch rechtzeitig zu ihrer Einschulungsfeier, die um 13.30 Uhr begann.
Der Saal ist schon voll, deshalb müssen wir in der ersten Reihe sitzen. Der Direktor ist noch ziemlich jung, dies ist sein erstes Jahr als Direktor. Er wird mit tosendem Applaus begrüßt. An zweiter Stelle spricht der Direktor der deuschen Abteilung in waschechtem Deutsch mit leichtem Kölner Akzent. Eine Gruppe von Schülern der achten Klasse kriegt –ebenfalls in Deutsch– gleich zu Beginn des Schuljahres ein verspätetes Diplom aus Deutschland für Leistungen des vergangenen Jahres. Die Schulband spielt.
Nach der Feier bleibt Mari noch eine Stunde allein mit ihrer neuen Klasse. Schon im Saal saßen hinter uns zwei ihrer zukünftigen Klassenkameradinnen. Die meisten anderen Kinder gehen schon seit sechs Jahren hier zur Schule, Mari ist jetzt die Neue vom Dorf.
Zum Kochen hatte heute keiner Zeit, ins Restaurant wollten wir nicht, also improvisieren wir ein kleines Pizzafestessen mit Fertigsalat aus Schweden, bevor Ly und Iiris wieder mit dem Bus nach Hause fahren.
Und ich bleibe mit Mari allein für den Rest der Woche. Nächste Woche kommt Ly nach Tallinn und ich bleibe in Vigala. Ein neuer Abschnitt in unserem Familienleben hat begonnen.