Schlussdokument der Weltsynode¶
Sonntag, 22. Dezember 2024
Ich habe begonnen, das Schlussdokument der Weltsynode zu lesen. Hier meine Lesenotizen. Genauer gesagt habe ich die Deutsche Arbeitsübersetzung des Generalsekretariats der Bischofssynode gelesen.
Was heißt „synodal“?¶
Ich versuche ja noch immer herauszufinden, wie die Kirche das Wort „synodal“ eigentlich definiert. Es kommt ja oft genug vor in dem Dokument: „synodaler Weg“, „synodale Methodik“, „synodale Umkehr“, „synodale Qualität“, „synodale Sendung“, „missionarisch-synodale Perspektive“, …
Es mag sein, dass Theologen nicht „klar“ im juristischen Sinne sein können, weil Gott per definitionem für menschliche Definitionen nicht fassbar ist. Als Softwareentwickler bin ich damit aber irgendwie nicht ganz zufrieden. Ich brauche eine Definition, die wenigstens linguistisch gültig ist, einen Satz im Stil „Ein Jungeselle ist ein männlicher, lediger Erwachsener“ (Beispiel aus den Definitionsregeln).
Oh, ich bin überrascht: unter Punkt (28) stehen einige Sätze dieser Art:
Die Begriffe „Synodalität“ und „synodal“ leiten sich von der alten und beständigen kirchlichen Praxis ab, sich in Synoden zu versammeln. (…) Synodalität ist das gemeinsame Gehen der Christen mit Christus und auf das Reich Gottes zu, in Einheit mit der ganzen Menschheit. (…) In einfachen und prägnanten Worten ist die Synodalität ein Weg der geistlichen Erneuerung und der Strukturreform, der es der Kirche ermöglicht, partizipativer und missionarischer zu sein, damit sie mit jedem Mann und jeder Frau gehen und das Licht Christi ausstrahlen kann.
Diese Aussage steht jetzt allerdings leider in offenem Widerspruch zu dem, was wir mit dem interkonfessionellen Synodenteam in unserem Bericht geschrieben hatten:
A neologism
(18) While the word “synod” has been widely used since ancient times to designate an eccle- siastical council, the adjective “synodal” (together with its derived noun “synodality”) is a neologism. It has the same parents as „synod“ (both words come from Greek συν (together) and ὁδός (way, journey), but saying „The Church is synodal“ does obviously not mean that the Church functions only in synods. This neologism emerged during the pontificate of Pope Francis. He spoke about it during a speech in 2015[11]. It was later[12] described as “the decision to journey together” that was „at the heart of the work of renewal the Council Vatican II was encouraging“, as the specific organization model („modus vivendi et operandi“) of the Church.
(19) Synodality carries in itself unity in diversity.
(20) We suggest the following definition: Synodality is journeying together as a community. Where journeying means being on our way, we are not yet there. We cannot exclude anybody because we all are children of God.
Unsere Definition basierte auf zwei Dokumenten des Vatikans (sowie unserer Deutung):
Inhaltlich das Gleiche wurde auch vom offiziellen estnischen Synodenteam abgesegnet und steht auf unserer Webseite in Estnisch und English.
Der englische Wikipedia-Artikel (Synodality) ist momentan sehr schlecht. Diesen Artikel hatte ich im Dezember 2021 begonnen und damals folgende Definition vorgeschlagen:
Synodality (from Greek συν together + ὁδός way, journey) is how the Catholic Church describes its form of government, differentiating it from democracy and monarchy.
Meinen Vorschlag machte einige Monate später ein Benutzer namens Veverve mit den Worten „unsourced and not to be found in the body of the article“ zunichte und ersetzte ihn durch eine linguistisch ungültige Aussage:
Synodality (from Greek συν together + ὁδός way, journey) is in the Catholic Church a term „often used to describe the process of fraternal collaboration and discernment that bodies like the [Synod of Bishops] were created to express.“[1]
Diese letzteren Informationen habe ich übrigens in der Historie des Artikels nachgeschlagen. Oh, und ich sehe, dass Veverve sich inzwischen zurückgezogen hat mit der Begründung „that I took too much of my time to write or enhance articles that no one outside of a tiny circle cared about“.
Oh, und jetzt habe ich auch den französischen Artikel Synodalité gesehen. Der gefällt mir richtig gut:
La synodalité (du mot « synode », formé du grec σύν « ensemble » et ὁδός « chemin, voyage ») est la manière dont l’Église catholique fait participer à sa mission les différentes entités qui la composent. Il s’agit d’un processus de collaboration et de discernement auquel sont dédiés des organismes comme le Synode des évêques. Préconisée par le pape François, elle a été en 2023-2024 au centre du Synode sur la synodalité.
Einen deutschen Artikel in der Wikipedia über Synodalität gibt es zur Zeit noch nicht. (Und ich werde mich hüten, den anzulegen.)
Ausgrenzung¶
Die Katholiken Estlands haben laut meinem Empfinden eine recht starke Tendenz, in ihrer eigenen Welt zu leben und sich von anderen recht deutlich abzugrenzen und gewisse Gruppen sogar auszuschließen. Das Abschlussdokument bestätigt mir, dass aus Rom deutliche Signale kommen, diese Haltung zu ändern. Es gibt viel zu tun!
Punkt (36) lese ich als Abmahnung an Bischöfe, die die Ausgrenzung homosexueller oder wiederverheirateter Menschen auch im Jahr 2025 noch fördern: „Traurigkeit über die weit verbreiteten Schwierigkeiten innerhalb der Kirche, blühende Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen verschiedenen Generationen und zwischen Einzelpersonen und Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Identitäten und sozialen Bedingungen vollständig zu leben.“
Punkt (38) „Die ganze Kirche bestand schon immer aus einer Vielzahl von Völkern und Sprachen sowie aus Ortskirchen. Diese Ortskirchen wiederum besaßen seit jeher ihre eigenen Riten und Disziplinen sowie ihr eigenes theologisches und geistliches Erbe, ebenso wie ihre eigenen Berufungen, Charismen und Dienste zur Förderung des Gemeinwohls. Die Einheit in der Vielfalt wird durch Christus, den Eckstein, und den Heiligen Geist, die Quelle aller Harmonie, verwirklicht. Diese Einheit in der Vielfalt ist genau das, was mit der Katholizität der Kirche gemeint ist.“
Punkt (41) „An jedem Ort der Erde leben Christen Seite an Seite mit Menschen, die nicht getauft sind, aber Gott durch die Ausübung einer anderen Religion dienen. (…) Dialog, Begegnung und Austausch von Gaben, die für eine synodale Kirche typisch sind, sind Aufrufe, sich für Beziehungen zu anderen religiösen Traditionen zu öffnen, mit dem Ziel, Freundschaft, Frieden, Harmonie und das Teilen moralischer und spiritueller Werte und Erfahrungen in einem Geist der Wahrheit und Liebe zu etablieren.“
Punkt (42) Die Diversität der Kirche ist „Einladung an jeden Menschen, sich mit seinen eigenen unbewussten Vorurteilen auseinanderzusetzen, der Versuchung zu widerstehen, im Mittelpunkt zu stehen, und sich für die Akzeptanz anderer Perspektiven zu öffnen.“
Gespräch im Geiste¶
Oh! Ich lese zum ersten Mal, dass es eine Methode gibt, die „Gespräch im Geiste“ genannt wird (Punkt 45). Ich habe ein wenig gesurft: 1, 2, 3.
Tja, hier in Estland haben wir davon leider nichts mitbekommen. Was gewissermaßen meine Schuld ist, weil ich meinen Posten als Synodalreferent vorzeitig hingeschmissen habe.
Die Kirche in der Welt¶
Punkt 47 gefällt mir: „Wir leben in einer Zeit, die von immer größeren Un- gleichheiten, wachsender Enttäuschung über traditionelle Regierungsmodelle, Ernüchterung über das Funktionieren der Demokratie, zunehmenden autokratischen und diktatorischen Ten- denzen und der Vorherrschaft des Marktmodells ohne Rücksicht auf die Verletzlichkeit der Menschen und der Schöpfung geprägt ist. Die Versuchung kann darin bestehen, Konflikte mit Gewalt statt durch Dialog zu lösen. Authentische Praktiken der Synodalität ermöglichen es Christen, eine kritische und prophetische Stimme gegenüber der vorherrschenden Kultur zu sein. Auf diese Weise können wir einen besonderen Beitrag zur Suche nach Antworten auf viele Herausforderungen leisten, mit denen unsere heutigen Gesellschaften beim Aufbau des Gemeinwohls konfrontiert sind.“
Ich lese daraus, dass Christen sich durchaus politisch engagieren und ihre Stimme wenn nötig erheben sollten. Eine Vorstellung von Kirche, die unter estnischen Katholiken eher unbeliebt ist.
Abbruch¶
Bis zum Anfang des zweiten Teils habe ich es geschafft, aber hier will ich die Lektüre lieber abbrechen, denn der Text ist gewissermaßen gefährlich für meine Gesundheit. Er bringt mich in Versuchung, wieder mit anzupacken. Es gibt so viel zu tun in der Kirche! Aber der Bischof hat ja Recht, wenn er mir sagt „Beruhige dich, Luc“. Marge erledigt ihren Job doch gut. Sie hat schon vor zwei Monaten, gleich nach Veröffentlichung des Dokuments, auf dem Blog der estnischen Katholiken eine sachliche Zusammenfassung veröffentlicht: Roomas lõppes piiskoppide sinod. Das kann sie besser, als ich es je könnte. Und sporadische emotionale Beiträge, wie ich sie liefere, stören da eher. Zumal ich nicht auf dem Laufenden bin, vieles einfach nicht mitbekomme. Dazu bräuchte es mehr Zeit. Deshalb kann ich nicht ab und zu mal schnell aushelfen, das könnte ich nicht einmal als Halbtagsjob, sondern das dürfte ich nur tun, wenn ich davon meine Familie ernähren könnte. Schuster, bleib bei deinen Leisten!