Ly ist in Eupen¶
Donnerstag, 19. Mai 2022
Hallo Freunde,
oh je, meine Frau ist schon seit drei Tagen in Eupen, und ich finde erst jetzt die Zeit, es euch zu erzählen! Jawohl, seit Sonntagabend wohnt sie in Nispert bei Johannes und Gaby. Die beiden haben seit 2016 noch jedesmal zwei Zimmer für uns frei gehabt, wenn wir nach Eupen kamen.
Theoretisch kommen Iiris und ich am 26. Mai hinterher und werden um 20:43 am Eupener Bahnhof aus dem Zug steigen. Am 12. Juni fliegt Ly wieder zurück nach Tallinn, Iiris und ich tun das Gleiche am 24. Juni. Und dann ist der Spuk schon wieder vorbei. Vom 31. Mai bis zum 8. Juni fahren wir außerdem mal kurz nach Italien, um Mari zu besuchen, die ja dort seit März wie erwähnt für sechs Monate als Freiwillige auf einem Bio-Bauernhof arbeitet.
Also @Ostbelgier: meldet euch, wenn ihr uns noch mal live sehen wollt. Unser Agenda während dieser Zeit wird wie immer recht dynamisch sein.
Weiterlesen solltet ihr nur, wenn ihr nichts Besseres zu tun habt.
Prophezeiung¶
Nach Italien fahren wir mit Maris Patentante und unserem Trauzeugen in deren Auto. Drei Tage lang werden wir dann mit Mari die Gegend von Passignano sul Trasimeno erkunden.
Passignano liegt nicht weit von Assisi. Schon bei unseren ersten Planungsversammlungen im März hatte ich den anderen prophezeit, dass wir an einem der drei Tage in dieses Städchen fahren werden. In den vergangenen Tagen sind diesebezüglich mindestens zwei erstaunliche Zufälle passiert.
Vorigen Sonntag habe ich den ersten Limerick meines Lebens geschrieben, und wie zufällig reimt der sich auf Assisi:
Und kurz nachdem ich das geschrieben hatte, gab mir eine Nachbarin hier in Tallinn den Tipp, wir sollten in Assisi unbedingt die Eisdiele vor der Santa Maria sopra Minerva testen gehen.
Na wenn das mal keine göttlichen Bestätigungen meiner Prophezeihung sind.
Soziale Distanz¶
Der Begriff social distance ist zweideutig. Man kann das als Distanz in sozialer Hinsicht verstehen und dazu werden lassen, oder man kann es im Gegenteil als räumliche Distanz, die trotzdem sozial bleibt verstehen.
Für diese zweite Deutung, die mir sympathischer ist, haben Ly und ich vorgestern ein anschauliches Beispiel erlebt: wir haben es trotz einer Distanz von 3000 Kilometern geschafft, gemeinsam Maris Zimmer freizuräumen, damit es während Maris Abwesenheit als Gästezimmer fungieren kann.
Das kam so.
Mari hatte ihr Zimmer vor ihrer Abreise nach Italien ordentlich zusammengeräumt, damit wir gelegentlich jemanden darin schlafen lassen können. Aber schon wenige Wochen später war ihr Zimmer wieder voll mit dem, was man in Eupen als „Kram“ bezeichnet. Ihr müsst zunächst wissen, dass wenn ein Mann wie ich mit einer Frau wie Ly verheiratet ist, dann bleibt kein Quadratmeter eurer Wohnung länger als ein paar Wochen leer. Das ist einfach ein Naturgesetz.
Dann müsst ihr wissen, dass ich vor einigen Wochen einen neuen Freund bekommen habe, einen 50-jährigen Engländer, der sich in Estland verliebt hat und hier Fuß fassen möchte. Unvorsichtigerweise hatte er seinen Mietvertrag beendet, bevor er seine nächste Wohnung gefunden hatte. Es ist zur Zeit aber nicht einfach, in Tallinn eine Wohnung zu finden, weil die meisten davon voller Ukrainer sind. Deshalb hatte er Mitte April drei Nächte lang auf unserem neuen Sofa geschlafen, bevor er ins Hotel Zum Hirschpark in Vigala umzog. Das ist zwar anderthalb Autostunden von Tallinn weg, aber wenigstens bezahlbar. In Vigala zog er Mitte Mai wieder aus, weil das ihm dann doch zu weit weg von Tallinn war. Weil er schon Anfang Juni wieder für einige Wochen nach England muss, nahm er sich für die drei Wochen ein Zimmer über AirBNB.
Als höflicher Engländer hatte er gar nicht erst nach unserer Couch gefragt. Die hätte er auch nicht bekommen, denn schon die drei Tage im April waren nur möglich gewesen, weil Ly zu diesem Zeitpunkt gerade in Vigala war. Kein normaler Este teilt seine Wohnung freiwillig mit einem Fremden. Das ist ein weiteres Naturgesetz.
Aber weil Ly am 15. Mai nach Belgien flog und Iiris keine ganz normale Estin ist, sagte ich zu ihm „Spar dir das Hotel, komm zu uns wohnen, ich räum dir Maris Zimmer frei, dann brauchst du nicht drei Wochen lang auf dem Sofa zu schlafen.“ Als er dann am Montagabend einzog, machte ich mich sofort daran, den „Kram“ in Maris Zimmer aufzuräumen. Eine Stunde später meinte er „Sorry, Luc, ich muss jetzt schlafen“, legte sich aufs Sofa und schlief ein. Und mir dämmerte langsam, dass ich ohne Lys Hilfe keine Chance hatte, dieses Zimmer freigeräumt zu bekommen. So machte ich folgendes Foto, mit dessen Hilfe Ly und ich am nächsten Tag telefonisch überlegen konnten, welcher Kram wohin gehört.
Asoziale Reisezeit¶
Das Datum unseres Besuchs in Eupen ist für Iiris leider eher asozial. Jugendliche in Ostbelgien haben aus schulischen Gründen im Juni wenig Zeit übrig für neue Bekanntschaften. Das war für uns natürlich trotzdem kein Grund, nach einem anderen Datum zu suchen. Wir beten einfach besonders ausdrücklich dafür, dass das Ganze für sie trotzdem eine soziale Bereicherung wird. Und ihre beiden sozialen Hauptziele, nämlich die Oma und die Schwester, die sind ja auch für Iiris sozusagen sicher.
Schlussworte¶
Hier in Tallinn genießen auch wir inzwischen den Frühling. Morgens um vier geht die Sonne auf, so dass ich meine erste Tagesschicht nicht mehr im Dunkeln mache. Iiris hat im Wahrscheinlichkeitsrechnen gelernt, dass der Casinobesitzer beim Roulette am meisten verdient. Vorgestern abend habe ich einen Chef für Lino gesucht und nicht gefunden, dafür aber mehrere interessante Gespräche mit anderen Programmierern gehabt. Gestern morgen hat mein Limerick noch ein Schwesterchen bekommen.
Aber ansonsten geht es uns gut. Liebe Grüße aus Tallinn von
Iiris und Luc