Donnerstag, 4. Juni 2015

Na toll

Õnne, die Chorsekretärin von Rello, hatte um 14 Uhr geschrieben, dass die heutige Probe zur Generalprobe für die Reise nach Weißrussland deklariert wurde, und dass alle, die nicht mitfahren, zu Hause bleiben dürfen. Ich durfte also zu Hause bleiben, weil die Reise nach Weißrussland aufs Männertanzfest fällt, auf das ich bei aller Treue zum Chor nicht verzichten will (und auch gar nicht könnte, denn auf das Tanzfest haben wir uns zu 8 Mann ein Jahr lang vorbereitet).

„Na toll“ dachte ich. Denn mir nützte das nichts, weil ich dennoch nach Märjamaa würde fahren müssen, denn ich hatte am Tag zuvor mit Evelin abgemacht, dass Iiris heute nach dem Kindergarten Andre besuchen geht. Also 40 Kilometer Benzin verfahren, damit die beiden ein paar Stunden miteinander spielen können. Wir könnten die Verabredung unserer Kinder platzen lassen, um die Umwelt zu schonen. Ich rief Evelin an um zu entscheiden. Aber Andre freute sich inzwischen natürlich auf Iiris, und wegen läppischer 40 Kilometer wollte ich die beiden Kinder doch nicht enttäuschen. Genau so hatten wir übrigens vor einigen Wochen ebenfalls beschlossen. Da war auch die Chorprobe kurzfristig ausgefallen genau an dem Tag, wo es uns nach etlichen misslungenen Versuchen endlich erstmals gelungen war, so einen Termin für Iiris und Andre auf die Beine zu stellen. Und außerdem gehe ich dann eben vorher schwimmen. Auch gut. Später beschlossen sogar auch Ly und Mari, mit mir nach Märjamaa schwimmen zu fahren. Wird immer besser.

Aber dann war der Parkplatz vor dem Schwimmbad von Märjamaa so verdächtig leer. Und das Schild an der Tür verkündete, was ich durch einen vorherigen Blick auf die Website ebenfalls erfahren hätte: „Ujula on külastajatele suletud alates 1.06.2015 - 26.07.2015“. Sommerpause. „Na toll“ dachte ich.

Ly hat ja mit so was überhaupt kein Problem. „Dann gehen wir eben essen“, schlug sie vor. In Märjamaa gibt es nämlich ein Restaurant. Und zwar eines, wo sie auch Fritten machen. Und wenn mir jemand mit Essen droht, werde ich immer gleich schwach.

So kam es, dass mein Körper gestern mal wieder nicht das bekam, was ihm eigentlich gut täte.

Auf dem Weg ins Restaurant sprang ich aber dennoch schnell zur Chorprobe im Kulturheim rein, um meine Schulden zu bezahlen. Õnne hatte in ihrer Mail daraum gebeten, dass alle ihre Mitgliedsbeiträge noch vor der Reise einzahlen. Jedes Chormitglied zahlt monatlich 5 Euro in die Chorkasse. Ob ich noch Schulden hatte, wusste ich nicht, aber dafür hat Õnne ja ihre Ankreuzliste. Ly und Mari gingen derweil schon mal zu Fuss weiter bis zum Restaurant. Sie hatten übrigens einen Regenbogen, der sie begleitete.

Ich betrat den Proberaum durch die hintere Tür, weil die Probe schon begonnen hatte. Mein Plan war, dass an der hinteren Reihe der Männer unauffällig jedem die Hand schüttelte (das ist bei den Rellomännern ein heiliges Ritual zu Beginn jeder Probe), um mich so bis zu Õnne durch zu arbeiten.

Aber noch bevor ich mit dem ersten Mann fertig war, hatte Thea mich gesehen. Was tut eine Chorleiterin, wenn auf der Generalprobe ein nicht mitsingendes Chormitglied unangemeldet reinplatzt und während eines Liedes anfängt, die Sänger abzulenken?

Was tat Thea, als sie mich sah? Sie unterbrach das Lied, das sie gerade probten und stimmte „Happy birthday“ an, und ohne weitere Anweisung kamen alle Sänger mir zum Geburtstag gratulieren. Es ist in unserem Chor üblich, dass Geburtstagskinder so ein Ständchen kriegen. Ungefähr jede zweite Probe singen wir dieses Lied. Ich hatte gar nicht daran gedacht, dass diesmal ich Geburtstagskind war. Offenbar hatte auch Lea (die dann immer eine Nelke liefert) nicht daran gedacht, dass ich heute abwesend sein würde, denn sogar meine Blume wurde mir überreicht.

Nach den Glückwünschen erklärte ich kurz, dass ich eigentlich nur Õnne gesucht hatte, um meine Schulden zu begleichen, und dann ließ ich sie weiter proben und lief meinen Frauen hinterher zum Frittenessen. (Wobei das freilich nicht ohne Lacher abging, denn Õnne war auch nicht zur Probe gekommen, ich hatte sie also nicht gefunden, und hatte trotzdem „Viel Glück“ gesungen bekommen (Õnne ist nicht nur der Vorname unserer Sekretärin, sondern auch das estnische Wort für Glück).

Aber was ich sagen wollte: ich als Chorleiter wäre wahrscheinlich irritiert genug über die Störung gewesen, um die Geburtstagswünsche zumindest im ersten Moment zu vergessen. Diese Geschichte ist ein Kompliment an die beste Chorleiterin, die ich je kennengelernt habe.