Als wäre nichts gewesen

Freitag, 14. Juli 2023

Hallo Freunde,

am Dienstagnachmittag bin ich wohlbehalten wieder in Tallinn angekommen. Morgens um fünf Uhr, als Johannes mich nach Welkenraedt zum Bahnhof fuhr, ließ er mich auf der Vervierser Straße kurz aussteigen, damit ich meine blaue Karte für Juli bei der CAPAC (Hilfszahlstelle für Arbeitslosenunterstützungen) einwerfen konnte. Offiziell bin ich voraussichtlich noch bis Ende Juli ein arbeitsloser Belgier auf Urlaub und werde ab August wieder bei Rumma & Ko arbeiten. Inoffiziell habe ich mit letzterem ja nie aufgehört.

Es könnte theoretisch auch noch etwas Überraschendes passieren. Denn immerhin bin ich als AktiF klassiert worden. Das ist eine Beschäftigungsförderungsmaßname der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Dadurch könnte eine Vereinigung, die einen Lino entwickeln lassen will, mich quasi kostenlos ein Jahr lang einstellen. Ich würde meistens auf Distanz für sie arbeiten, was ja seit der Pandemie selbst in Belgien denkbar ist. Ich schätze, dass es mehrere Vereinigungen gibt, die daran Interesse hätten.

Der Haken ist, dass sie es nicht wissen und ich keinen kenne, der es ihnen rechtzeitig erzählen würde. Die vielen Gespräche über Software, die ich in den vergangenen acht Monaten mit vielen Menschen hatte, bestätigen mehr denn je, wie nötig Lino ist. Sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst herrschen katastrophale Zustände bei der Entwicklung und Nutzung von Software. Ich nenne das eine moderne Form der Sklaverei. Leider ist es schwer, den Menschen Hoffnung zu machen, dass es aus dieser Sklaverei überhaupt einen Ausweg gibt und dass Freie Software eine realistische Alternative ist. Lino erscheint verglichen mit SAP oder etablierten Anbietern wie ein Ruderboot, das gegen Ozeanriesen antritt. Dieser Vergleich trügt, weil man Privateigentum nicht mit Allgemeingut vergleichen darf. Der eigentliche Vorteil von Lino ist, dass das damit entwickelte Softwareprodukt kein Privateigentum ist, sondern allen gehört. Das ist allerdings schwer zu vermitteln. Was mich jedoch nicht weiter juckt. Ich habe es ja gut mit Sharif, Hannes und unseren zwanzig Kunden. Unsere kleine GmbH in Estland ist ja die effizienteste und kostengünstigste Verwaltungsstruktur für Lino, die man sich denken kann. Ich brauche auch keine V.o.G. zu gründen, denn das werden andere tun, sobald die Zeit reif ist. Das zweite Wunder (siehe Bitte zwei Wunder) steht uns noch bevor.

Gesundheitlich ist meine größte Sorge der Schlafmangel. Ich war ja schon vorher nicht gerade ein Meister in diesem Sport und tu mich schwer mit der neuen Disziplin des Schlafens im Halbsitzen.

Im Flug von Brüssel nach Riga, der 2 Stunden dauert, saß neben mir ein etwa vierzigjähriger Mann. Der surfte und chattete hochaktiv, obwohl die Lautsprecher uns schon mehrmals gebeten hatten, unsere Telefone auf Flugmodus zu stellen. Ich überlegte, ob und wenn ja, wie ich ihm das sagen solle, aber noch bevor es so weit kam, erfuhr ich, dass er es schon wusste, denn als ein Steward vorbei kam, legte er sein Telefon kurz beiseite wie ein Schüler den Kaugummi zu kauen aufhört, wenn der Lehrer in seine Richtung schaut. Und jetzt kommt’s: Als das Flugzeug in der Luft war und seine Mobilverbindung offenbar abbrach, steckte er sein Telefon in die Tasche, lehnte den Kopf zurück und war zwei Minuten später eingeschlafen. Eine Stunde lang schlief er selig! Und ich saß daneben und dachte neidisch, wieso mir dieses Glück vergönnt ist. Aber auch ich bin kurz danach mal ganz kurz eingenickt. Vielleicht lerne ich es ja doch noch. Und davon abgesehen soll dieser telefonsüchtige Schnösel sich bloß nichts einbilden auf seine Ruhe, der ist ja bestimmt nicht auf dem Weg zu seiner Familie nach acht Monaten Trennung.

Seit der Landung hat das Leben in Estland mich wieder voll in Beschlag. Ich plane meine Ummeldung von Belgien nach Estland, suche noch einen Onkologen, der meinen Fall übernimmt. Gestern sind wir mit dem Bus von Tallinn nach Vigala umgezogen und haben begonnen, den Rasen zu mähen. Heute kommt hoffentlich unser Auto durch die technische Kontrolle. Es hatte während meiner Abwesenheit in Vigala unter Dach gestanden; mein Freund und Garagist Henn hat es schon vor zwei Wochen nachgeschaut und meint, dass es durchkommen wird. Zwischendurch bereite ich zwei Lino-Updates für Kunden in Eupen vor. Das Leben geht weiter als wäre nichts gewesen.

Liebe Grüße sendet

Luc

Diesen Rundbrief habe ich per E-Mail an alle verschickt, die in meiner Freundesliste stehen.