Eternitgeburtstag

Dienstag, 5. Juni 2018. So! Seit dem 1. Juni bin ich also 50 Jahre alt. Ich hatte schon seit Monaten hin und her gegrübelt: Was machst du an den Tag? Wenn du da nichts Besonderes unternimmst, machst du dir womöglich bis zu deinem Lebensende Vorwürfe.

Eines war mir klar: wenn ich schon feiere, dann will ich alle Freunde einladen, nicht nur „eine Auswahl der Besten“. Denn wer bin ich denn, dass ich da die Grenze ziehen könnte. Meine estnische Freundesliste hat 292 Adressen, in die Mehrzweckhalle hier im Dorf passen 250 Leute, mindestens zwei Leute hier im Dorf bieten nebenberuflich Catering an und würden sich über ein paarhundert Euro freuen. Also das wäre machbar gewesen.

Aber dann hätte ich das beizeiten organisieren müssen. Und irgendwie gefiel mir die Idee auch nicht so ganz: mein Geburtstag ist doch keine 200 Gäste wert. Und was sollen die Leute dann tun einen ganzen Abend lang? Ich zögerte lange genug, und Anfang Mai war klar, dass es jetzt zu spät war zu so einer Einladung. Das Leben hatte mal wieder entschieden.

Dann am 25. Mai hatte ich eine neue Idee: ich lade alle Freunde zu einem Gemeinschaftsarbeitstag an der Hiisscheune[*] ein, mit anschließendem Grillabend. Einen Tag später ging die Einladung raus: Am 2. Juni von 13 bis 18 Uhr Bauschutt verbrennen und Eternitplatten einsammeln, danach in der Vigala baden und anschließend Grillabend.

[*] Der Hiis von Vana-Vigala ist ein vorchristlicher Anbetungsort, und zweihundert Meter davon entfernt steht eine große Scheune aus dem 19. Jahrhundert, deren Dach im Winter 2010 unter der Schneelast eingestürzt war. Seit vorigem Jahr arbeiten wir mit unserer Folkloreruppe daran, diese Ruine aufzuräumen und ein kleines Freiluftmuseum daraus zu machen. Wohl ein Dutzend Gemeinschaftsarbeitstage haben wir schon dort verbracht. Einiges ist schon geschafft, aber noch mehr bleibt zu tun.

Der Bürgermeister und der Bauschöffe von Vigala reagierten prompt und bestellten einen Sondermüll-Container, mit dem das Eternit abtransportiert werden sollte. Ich hatte ihnen zuvor inoffiziell versprechen müssen, dass wir es schaffen würden, den Container zu füllen. Das ist nämlich das Schwierige an der Sache. Die Platten müssen aus den Überresten des eingestürzten Daches rausgeholt werden, das geht nur mit Menschenkraft, und keine Baufirma in Europa bietet diesen Dienst zu einem tragbaren Preis an. Und allein die Containermiete kostet 30 Euro pro Tag. Falls wir es an einem Tag nicht schaffen sollten, würde ich eben an den Tagen darauf nochmals kleine Arbeitstage organisieren müssen.

Natürlich hatten fast alle Freunde dieses Datum inzwischen verplant. Aber das war auch gut so, denn für mehr als 20 Arbeiter hätte ich Probleme bekommen mit der Aufgabenverteilung. Es kam letzten Endes genau ein Dutzend, und das erwies sich als genau richtig: um 16.15 Uhr war der Container voll. Weitere zehn Kubikmeter standen ordentlich gestapelt auf Paletten, so dass ein Arbeiter mit Traktor sie leicht in einen zweiten Container laden kann.

Um 16.30 Uhr gingen alle Gäste im Fluss baden, und um 17 Uhr, eine Stunde früher als geplant, startete der Grillabend. Die Badestelle war übrigens just am Tag zuvor fertig geworden.

Hier einige Fotos.

Sorry, dass ihr jetzt erst im Nachhinein von diesem Fest erfahrt, aber man kann ja nicht immer alles haben im Leben. Ich jedenfalls habe was ich wollte: ein unvergessliches Erlebnis. Und unser Dorfprojekt „Aufwertung der Hiisscheune“ hat einen großen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt steht die Tür offen für die nächsten Schritte.