Luc in Tunesien

Donnerstag, 22. September 2016. Ich war eine Woche in Tunesien, um meinen Assistenten Hamza zu besuchen, mit dem ich seit einem Jahr über Internet zusammen arbeite. Das war unsere erste Begegnung in „echt“, und die war jetzt einfach nötig.

Davon abgesehen war es auch das erste Mal, dass ich den europäischen Kontinent verließ, Datteln direkt von der Palme pflückte, auf einem Dromedar ritt, ein freilebendes Chamäeleon vor der Kamera hatte oder abends in die Sahara zum Picknick fuhr… Aber diese Dinge habe ich Tourismusbanause eigentlich nur en passant registriert (und natürlich mein Bestes getan, um sie möglichst anschaulich festzuhalten), denn der wahre Grund meiner Reise war die Frage: kann das wirklich wahr sein, dass da am Rande der Sahara ein Mensch lebt, der Lino versteht und meine Wellenlänge hat? Die Antwort darauf hatte ich geahnt, aber für solche Dinge reichen Worte nicht aus, man muss sie erleben.

Montag, 12. September 2016. Drei Stunden Aufenthalt in Tunis, das reicht nicht, um die Stadt zu besichtigen, aber vor dem Flughafen sehe ich zum ersten Mal echte Palmen. Also ein Foto von Luc im Lino-T-Shirt vor der Palme. Und bei der Landung auf Djerba um 15.30 Uhr ist dann schon gleich der ganze Horizont damit bewachsen.

Zwei Stunden musste ich jetzt noch vor dem Flughafen warten, weil Hamza sich verspätet hatte. Willkommen in Afrika, wo man es mit Terminen nicht so genau nimmt. Ich vertreibe mir die Zeit mit Knipsen von tunesischen Männerklos und Motorrädern.

Aber im Grunde genoss ich die Wartezeit. Hamza hatte mein vollstes Verständnis, denn er hatte 250 Km mit dem Auto zu fahren, um mich abzuholen.

Dann war er plötzlich da, und wir fuhren gleich los. Kaum hatten wir den Flughafen verlassen, fiel mir beim Betrachten des Sonnenuntergangs ein: wir hatten noch gar kein Foto von uns beiden gemacht! Also nochmal schnell anhalten am nächstbesten Fotohintergrund, der sich als eine kleine Moschee entpuppte, deren Lautsprecher gerade zum Gebet riefen. Der Imam nahm sich aber freundlicherweise noch Zeit, den historischen Moment in Hamzas und meinem Leben zu verewigen.

Kurz danach war es Nacht. Die Fähre zwischen Djerba und dem Festland war nur eine Art Kahn für zwei Dutzend Autos mitsamt Insassen und wird in Französisch treffend bac (Wanne, Kasten, Bottich) genannt.

Danach ging es 250 Kilometer durch Berge und Wüsten, aber wir sahen kaum etwas von der Landschaft, erstens weil es dunkel war und zweitens weil wir so viel zu erzählen hatten.

Und dann, gegen 21 Uhr, kamen wir also endlich in Douz an, Hamzas Heimatstadt mit etwa 30.000 Einwohnern, die auch das „Tor zur Sahara“ genannt wird. Wie schon gesagt war ich genau auf den ersten Tag des Opferfestes der Moslems gelandet, und somit gab es natürlich Hammelfleisch. Hamzas Vater hatte den Hammel am Morgen eigenhändig geschlachtet. Hier sehen wir Luc und Hamza beim Verspeisen der Reste des Festessens, während die anderen Familienmitglieder zuhören, was dieser Europäer alles erzählt. Vor dem Essen sagt man „Bi-smi-llâh“.

Zwischenbemerkung. Auf komplette Familienfotos müssen wir leider verzichten, denn verheiratete Frauen zu fotografieren gilt zumindest in Douz noch als unanständig. In den größeren Städten sind die Leute weniger traditionsbewusst, dieses junge Ehepaar ließ sich ohne Bedenken auf meine Bitte hin ablichten. Oder Hamzas jüngste Schwester ist noch nicht verheiratet, die durfte ich folglich fotografieren.

Hamza hatte mich in einem kleinen Hotel untergebracht. Und in der ersten Nacht war ich der einzige Gast. Ab dem zweiten Frühstück bekam ich immerhin Gesellschaft einer Lady aus Arizona, von der ich bald mehr erzählen werde. Insgesamt war sichtbar, dass der Tourisimus in Tunesien momentan noch sehr unter einigen „mutmaßlich islamistisch motivierten“ Anschlägen im vergangenen Jahr leidet.

Douz ist eine Kleinstadt am Rand der Sahara, mit viel Sand und vielen Mopeds. Die neueren Autos haben einen selbstgemachten Hitzeschutzteppich auf dem Armaturenbrett liegen. Der von Hamzas Onkel ist sogar mit frommen Sprüchen aus dem Koran bestickt. Anders als in der Hauptstadt laufen die Frauen hier noch nicht unverschleiert in der Öffentlichkeit rum und sitzen auch nicht wie ihre Männer in den Cafés.

Wenn mir eines klar war, dann dass ich mal auf einem Kamel reiten musste. Genauer gesagt auf einem Dromedar. Douz ist bekannt für sein jährliches internationales Saharafest.

Viele Leute in Douz halten sich Dromedare. Nicht mehr wie früher, um selber durch die Wüste zu reiten, sondern um Touristen darauf reiten zu lassen. Die Lady aus Arizona in meinem Hotel war eine besondere Art von Tourist: sie ist ganz vernarrt in Kamele und hat sich voriges Jahr, nach ihrem soundsovielten Trek durch die Wüste, ihr eigenes Kamelbaby gekauft. Das hat sie dann freilich nicht mit nach Arizona genommen, sondern bezahlt hier in Douz jemanden, der es für sie pflegt, und alle paar Monate kommt sie es dann besuchen.

Hamza hat zum Glück einen netten Freund, dessen Vater ebenfalls Dromedare hält. Zwei Tage mussten wir darauf warten, dass er Zeit für meinen Sonderfall hatte, aber heute war es dann so weit: ich durfte auch mal auf den Rücken eines Wüstenschiffs. Dabei sah ich dann auch zum ersten Mal eine Horde von Touristen, die den gleichen Wunsch wie ich gehabt hatten.

Gleich am zweiten Abend meinte Hamzas Vater „Kommt, wir machen ein Picknick in der Wüste“. Wenn die Leute keine Lust haben, vor dem Fernseher oder im Café zu sitzen, dann fahren sie aus der Stadt raus, machen ein Feuerchen an und backen sich ein Brot. In Eupen würde man es ein Picknick im Grünen nennen.

Douz ist umgeben von einem grünen Gürtel aus Dattelfeldern. Viele Familien haben ihr eigenes Dattelfeld, auf dem sie ihren Eigenbedarf fürs ganze Jahr ernten. Es wird immer die gleiche Sorte angebaut, nämlich Deglet Nour. Manche bauen mehr an und verkaufen den Überschuss. Es gibt Firmen, die nichts anderes tun als Datteln für den lokalen Markt gekühlt zu lagern. Und andere Firmen, die Datteln für den Export verpacken.

Douz und die gesamte Umgebung bezieht ihr Trinkwasser, indem sie es aus dem Boden pumpt. Das aufbereitete Wasser wird in Wassertürmen gespeichert. Zum Wässern der Oasen darf das Trinkwasser allerdings nicht benutzt werden, also müssen die Bauern es sich selber rauspumpen. Den Strom für die Pumpen kriegen manche aus dem Netz, andere müssen sich auch den selber produzieren, wozu sie dann in letzter Zeit immerhin keine Generatoren mehr benutzen sondern Sonnenkollektoren.

Interessant auch eine Webseite (in Französisch) über das Trinkwasser in Douz, die durch Schüler im Rahmen einer Schulpartnerschaft entstand.

Es gibt in Douz mehr Esel als Pferde.

Ein paar Kleintiere habe ich fotografisch eingefangen. Was mich am meisten überraschte, waren die Stubenfliegen: die sahen genau so aus wie bei uns.

Alle Mahlzeiten außer dem Frühstück bekam ich bei Hamza, der noch Junggeselle ist und bei seinen Eltern wohnt. So bekam ich einiges vom Familienleben mit

Am dritten Tag probierten wir erstmals zu arbeiten. Aber wir haben nur knapp zwei Stunden geschafft bis es uns zu heiß wurde. Außerdem wartete das Mittagessen, und danach war es noch heißer.

Am Freitagnachmittag durfte ich –vorsichtshalber mit Chèche und Djebba verkleidet– beim Gebet in der Moschee teilnehmen. Von der Predigt des Imam habe ich freilich nichts verstanden, aber die verschiedenen Gebetshaltungen habe ich scheinbar fehlerfrei mitgemacht. Fotos gibt es von diesem Abenteuer leider keine, dafür hier eine der Moscheen von Douz, sowie ein moslemischer Friedhof.

Am Abend durfte ich dann Zaungast bei einer Hochzeit sein. Bei einer traditionellen Hochzeit wird die Braut von ihrer Schwiegermutter per Dromedar zu Hause abgeholt und –sorgfältig vor Blicken geschützt– in einem „Käfig“ in ihr neues Heim gebracht, begleitet von den Hochzeitsgästen.

Erst am letzten Tag schafften wir es, den berühmten Markt (Souk) von Douz zu besuchen. Ich war der einzige Tourist an diesem Morgen, auch hier zeigte sich also die momentane Krise.

Hamzas Onkel hat eine Stickereiwerkstatt.

Am letzten Tag lud er uns zum Essen ein. Ich zeigte den Kindern Fotos aus Estland im Winter.

Nach dem Essen hatte er sich eine Überraschung als Abschiedsgeschenk ausgedacht: er ließ seine Maschinen ein Lino-Logo auf zwei meiner T-Shirts sticken.

Die letzte Nacht verbrachte ich –auf eigenen Wunsch– nicht im Hotel, sondern bei Hamza zu Hause. Wir schliefen auf dem Dach, obschon Regen gemeldet war. Und dieser Regen kam sogar. Er dauerte allerdings keine 30 Sekunden und bestand lediglich aus ein paar Tropfen.

Um 6 Uhr morgens fuhren wir dann mit dem Bus aus Douz raus. Zunächst durch die Wüste, dann am Meer vorbei und durch den Sahel, das größte zusammenhängende Olivenabaugebiet des Maghreb.

Für die Strecke von Gabès bis Sousse wechseln wir das Verkehrsmittel, wir steigen vom Bus in ein Louage.

In Sousse trafen wir uns mit David, der einige Jahre mit mir die Schulbank drückte und jetzt seit zehn Jahren in Sousse lebt. Er zeigte uns die Medina und lud uns zum Essen ein. Leider musste er dann auch schon wieder zum nächsten Treffen eilen.

Hamza zeigt mir den Strand von Sousse. Und ich zeige ihm, was man in Estland tut, wenn man an so einen Strand kommt: nämlich schwimmen gehen. Danach trinken wir einen Kaffee und philosophieren über Gott und die Welt.

Ich wunderte mich, dass der Strand so still war. Okay, dass Hamza als Wüstensohn nicht mit mir ins kühle Nass sprang, fand ich noch normal (es soll in Douz zwar sogar eine Schule mit Schwimmbad geben, aber ich bezweifle, dass viele Kinder dort schwimmen lernen). Erst später las ich über den Anschlag vom Juni 2015 und vermute, dass die Ruhe am Strand möglicherweise eine weitere sichtbare Folge dieser Ereignisse war.

Und dann mit dem Zug von Sousse nach Tunis.

Kleiner Imbiss und Spaziergang durch Tunis bei Nacht, bevor Hamza mich mit dem Taxi am Flughafen absetzt.

Die Rückreise verlief ganz wie geplant, mit drei Stunden Schlafpause in Frankfurt und Landung in Tallinn um 13.25 Uhr am nächsten Tag. Dreißig Stunden war ich unterwegs gewesen. Und danach brauchte ich noch zwei Tage (abgesehen von unvermeidlichen Dingen wie dringenden E-Mails, Chorprobe und Kofferauspacken), um diesen Bericht zu schreiben.

Was bleibt davon übrig? Vor allem eine tiefe Verbundenheit zwischen einem Christen und einem Moslem, aus der in den kommenden Jahren hoffentlich noch viel Gutes erwachsen wird. Und das Fazit des Hobbytheologen in mir: die Offenbarungsreligionen sollten unverzüglich beginnen, sich von ihren jeweiligen extremistischen Schulen klar zu distanzieren. Wenn Christen ihre Bibel oder Moslems ihren Koran als einzig wahres Wort Gottes verherrlichen, dann mag das regional den Priestern und Theologen die Arbeit vereinfachen, führt aber weltweit unweigerlich zu Konflikten.