Luc fliegt zum Opferfest nach Tunesien¶
Samstag, 3. September 2016.
Nächste Woche werde ich zum ersten Mal in meinem Leben den europäischen Kontinent verlassen. Und zwar fliege ich nach Tunesien, um meinen Assistenten Hamza zu besuchen, der mir nun schon seit einem Jahr gegen Bezahlung hilft, Lino immer besser zu machen.
Nicht wirklich geplant war, dass ich mitten ins Opferfest hinein lande, eines der wichtigsten islamischen Feste, das vier Tage dauert.
Beim Opferfest gedenken Moslems des Propheten Ibrahim, der bereit war, seinen Sohn Ismael Allah zu opfern und dadurch die göttliche Probe bestand. Christen kennen die Geschichte als Opferung Isaaks. Anbei z.B. das Gemälde „Der Engel verhindert die Opferung Isaaks“ von Rembrandt.
Für mich als rationalen Christen ist die Geschichte zunächst mal verwirrend. Spontan hätte ich an Abrahams Stelle wie Kant gesagt: «Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott seist, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden, wenn sie die Stimme auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete.» (dass Kant das so formuliert hat, habe ich nicht selbst gelesen, sondern weiß es dank eines Artikels in der NZZ: Die Opferung des Sohnes). Aber wenn ich weiter denke, sehe ich die Kernaussage an der Geschichte: dass Gott eben unfassbar ist. Es gibt Situationen, in denen zehn Experten inklusive dein eigener Verstand dir bescheinigen, dass dein Projekt Unsinn ist und du neue Wege beschreiten solltest statt deine Zeit und dein Geld darin zu investieren, und trotzdem machst du weiter, gegen den gesunden Menschenverstand. In religiöser Sprache sagt man dann „weil Gott es von dir will“. So erkenne ich in dieser Geschichte mich und Lino wieder: da stecke ich seit 15 Jahren meine ganze Arbeitskraft in Lino rein und habe doch bei weitem meine Schäfchen nicht im Trockenen. Viel klüger wäre es, wenn ich eine gutbezahlte Stelle als Datenbankarchitekt in Tallinn oder sonstwo annähme. Aber stattdessen mache ich unbeirrt nur Lino weiter und sage mir, dass Gott das nun mal von mir will! Wobei diese „Stimme Gottes“ jenseits von Gefühlen und Überzeugungen liegt, denn als Datenbankarchitekt hätte ich bestimmt genau so viel Freude wie mit Lino, und ich bin überhaupt nicht „überzeugt“, dass Lino mal Erfolg haben wird. Also das verstehe, wer will…
Andere Leute hören noch ganz anderes als ich aus diesem Text. Was die Geschichte z.B. mit Abtreibung zu tun hat, erklärt Hannes Stein in Abraham bewahrt uns vor dem Töten unserer Kinder.
Und die Moslems feiern diese Geschichte also jedes Jahr vier Tage lang. Gar nicht dumm. Unabhängig von soziologisch-theologischen Erwägungen wird in islamgläubigen Familien bei diesem Fest scheinbar tatsächlich ein Hammel geschlachtet und im Familienkreis, an Freunde und an Arme verteilt. Also ich, der ich für Schafsfleich eigentlich nicht so zu haben bin, kann mich auf neue kulinarische Erfahrungen gefasst machen…