Erkneraner in Vigala 2014¶
Am vergangenen Wochenende feierte die Kirchengemeinde von Vigala ihren 675. Geburtstag. Das war Anlass für vier Mitglieder unserer Partnergmeinde in Erkner, uns noch mal besuchen zu kommen. Erstmals war ich es, der den Besuch organisierte. Hier meine Fotos und Kommentare.
Landung in Tallinn am Freitag um 21 Uhr. Wir fahren im Dunkeln sogleich durch bis Vigala. Erst bei einer Pause in Märjamaa fällt mir ein, dass wir doch auch mal ein Foto machen könnten:
Kräuterhof „Uuskaubi talu“¶
Am Samstagmorgen zeigten uns Sirje und Hillar ihren Bio-Kräuterhof. Das war für unsere Gäste etwas ganz Exotisches: selbstgebaute Trockenanlage und manuelle Abfüllung in Tüten, „das wäre bei uns nicht mehr denkbar“.
Segnung zweier Gedenktafeln¶
Vom Kräuterhof ging es gleich weiter in die Kirche, wo heute zwei neue Gedenktafeln zur Ehrung der Waldbrüder angebracht wurden. So viel Militär (genauer gesagt nicht Militär, sondern Verteidigungsbund, bzw. die estnische Nationalgarde) in der Kirche war für unsere Gäste ein ungewohntes Bild: während in Erkner vor allem für Abrüstung und Gewaltlosigkeit gebetet und gekämpft wird, ist die Kirche von Vigala (auch) die wichtigste Gedenkstätte unserer Region an die Gefallen der Befreiungskriege.
Im Hirschpark¶
Während in Kivi-Vigala der „Geschichtstag“ mit einer Konferenz über Waldbrüder und Stadtrechte weiter ging, fuhren wir nach Vana-Vigala zurück und machten wir einen Spaziergang im Hirschpark.
Der im Jahre 1790 durch Behrendt von Uexküll angelegte Park steht unter Naturschutz und wird heute durch einen gemeinnützigen Verein mit europäischen Geldmitteln gepflegt. Maie ist eine der beiden Gründerinnen dieses Vereins und führte uns durch den Park.
Anschließend lernten wir auch die andere Gründerin kennen –Helbe heißt sie– die uns ihr „Hostel“ (ein bed and breakfast für bis zu 14 Personen) zeigte und mit kiluvõileib stärkte. kiluvõileib gilt als traditionelle Nationalspeise. Eigentlich müsste man es durch „Sprottenbrote“ übersetzen, aber das gefällt den Esten nicht, denn es handelt sich hier nicht einfach um Sprotten (Sprattus sprattus, estnisch sprotid), sondern um Ostseesprotten (Sprattus sprattus balticus).
Soldatensuppe¶
Dass der Verteidigungsbund dem „echten“ Militär recht ähnlich ist, davon konnten wir uns daraufhin nochmals überzeugen, als wir nach Kivi-Vigala zum Geschichtstag zurück fuhren uns die Soldatensuppe schmecken ließen. Davon gibt es (hier) leider kein Foto, weil mir das eigene leibliche Wohl in diesem Moment wichtiger war…
Wichtiger als die Suppe war allerdings eigentlich die Tatsache, dass sich dabei einige Begegnungen mit alten und neuen Bekannten ergab. Hier ein Gruppenbild mit Järvi, Reemet, Aili, Thomas und Heino.
Konzert des Nationalmännerchors¶
Dass an diesem Wochenende so viele Menschen den Weg in unsere Kirche gefunden haben, das haben wir ganz bestimmt auch dem Organisten und Komponisten Andres Uibo zu verdanken, der trotz Umzugs nach Tallinn seiner Heimatgemeinde treu geblieben ist. Er nutzte seine guten Beziehungen zu vielen Musikern, um uns gleich drei hochkarätige Konzerte zu bescheren. Eines davon war das des Nationalmännerchors mit Werken von Giovanni Gabrieli über Tauno Aints und Andres Uibo bis Veljo Tormis. Veljo Tormis höchstpersönlich war unter den Zuhörern.
Besuch beim Bürgermeister¶
Abends waren wir dann beim Bürgermeister eingeladen, wo unsere Gespräche inhaltlich ein erfreulich hohes Niveau erreichten.
Prozession¶
An diesem Sonntagmorgen kam es zu einem seltenen Phänomen in einem verschlafenen Dorf im Landkreis Rapla: mehrere Dutzend Christen versammeln sich zu einer Prozession und ziehen Kirchenlieder singend durch die Straßen! Und der Erzbischof persönlich ist mit dabei! Nur wenige Zuschauer trauten sich aus ihrem Haus heraus, aber sicherlich mehr als ein Augenpaar hat hinter Gardinen versteckt ein bisschen davon mitbekommen. Auch Kaido Soom war aus Tartu angereist und rief durch seine Anwesenheit Freude hervor.
Vor der Prozession hatten die Erkneraner einen unangekündigten Schnellkurs in estnischer Aussprache bekommen, was den Chor um einige kräftige Stimmen bereicherte.
In der Kirche segnete der Erzbischof den von Kristiina angefertigten Wandteppich, der ein wahres Kunstwerk ist und schon im Vorfeld auf nationaler Ebene Beachtung fand in einem Zeitungsartikel Vaipa kootud kindakirjad jäävad Vigala kirikusse
Während immerhin die Bibeltexte auch in Deutsch gelesen wurden, mussten sich unsere Gäste ansonsten mit Geduld wappnen, weil ich es noch nicht bis zum Simultanübersetzer geschafft habe. Besonders während der Predigt des Bischofs bereute ich dies. Nach der Predigt flüsterte ich ihnen zu „Bua, da habt ihr was verpasst!“ und sie antworteten „Das haben wir gesehen“.
Abendessen mit Austausch¶
Abends lud die Gemeinde ein zum Abendessen in der besten Schulkantine Estlands, als Dank an alle aktiven Gemeindemitglieder und mit anschließendem Diavortrag über das Gemeindeleben in Erkner.
Der Diavortrag fand reges Echo, und ich denke, dass die Botschaft rüber gekommen ist: „Wir sind nicht allein! In Erkner machen sie die gleiche Arbeit wie wir!“
Besuch der Schulen von Vana-Vigala¶
Der dritte Tag begann mit einem Besuch in den beiden Schulen von Vana-Vigala.
In der 9. Klasse der „Grundschule“ freuten sich Lehrerin und Schüler über eine kurze Selbstvorstellung in Englisch, die Thomas unvorbereitet aus dem Ärmel schüttelte.
Eigentlich hatten wir Maie am Tag zuvor gebeten, den Besuch der Berufsschule aufs Minimum zu reduzieren, weil unsere Gäste sich doch so sehr auf die Ausfahrt nach Pärnu freuten. Aber Maie hatte geantwortet „Nichts da! Hier wird nicht gekürzt!“. Und spätestens nach dem bereichernden Gespräch mit Direktor Enn Roosi waren alle sich Beteiligten einig, dass Maie Recht gehabt hatte.
Ausfahrt nach Pärnu¶
In Pärnu war dann unser erstes Ziel die Elisabeth-Kirche. Und die war geschlossen. Was uns kaum störte, denn worauf die Menschen aus dem Osten Berlins sich vor allem gefreut hatten, war das Meer! Nach zweieinhalb Tagen mit straffem Programm hatte die Delegation sich einige entspannte Stunden nun redlich verdient. Aus Gründen, die mir für immer verschlossen bleiben, empfinden Frauen einen Einkaufsbummel als entspannend. Thomas und ich überließen die Damen ihrem Schicksal und gingen stattdessen spazieren.
Abendessen mit Gastgebern¶
Für den letzten Abend hatte Ly alle Gastgeberfamilien zu einem gemeinsamen Abendessen in unser Haus eingeladen.
Ich verkündete meine Freude darüber, dass die Gäste erstmals in echten Haushalten untergebracht seien. Ich hatte viel dafür kämpfen müssen und brachte meine Argumentation noch einmal in Erinnerung: „Freilich hat man Angst, dass die eigene Wohnung für so einen Gast aus Deutschland nicht gut genug ist. Aber wir dürfen nicht das eigentliche Ziel so eines Besuchs vergessen: persönliche Kontakte knüpfen und einen echten Einblick in unseren Alltag gewähren. Anders als bei geschäftsmäßigem Tourismus dürfen wir bei so einem Austausch auf das Wohlwollen unserer Gäste vertrauen, weil sie unsere Brüder und Schwestern im Herrn sind.“
Abschied¶
Am Dienstagmorgen war dann Abschied und Fahrt zum Flughafen. Dortselbst noch die Schreckensbotschaft, dass der Flug storniert sei, die sich etwas später als erfreulich rausstellte, weil nun alle im gleichen Flugzeug reisen konnten.