Luc in Charleroi

Hallo Freunde, die meisten von euch erfahren es erst jetzt: ich war mal wieder eine Woche in Belgien.

Und zwar, um im ÖSHZ von Châtelet (bei Charleroi) einen neuen Lino in Betrieb zu nehmen. Die Woche war menschlich wie technisch ein schönes Erlebnis für alle Beteiligten und insgesamt eine Bestätigung, dass Lino das Richtige ist.

Diese Inbetriebnahme ist ein wichtiger Meilenstein für Lino, denn sie ist unser erster Schritt in die Wallonie und der dritte (von mir betreute) Lino überhaupt. Die Vorbereitungsarbeiten laufen seit über einem Jahr. Ob es ein Erfolg wird, hängt allerdings auch von politischen Entscheidungen ab, auf die ich keinen direkten Einfluss habe. Lino für ÖSHZ ist inzwischen ein ziemlich umfangreiches Projekt geworden, dessen Wartung langfristig nicht durch eine Einzelperson garantiert werden kann. Deshalb müssen sich Partner finden, die mir bei dieser Arbeit helfen. In der Wallonie wartet ein potentieller Markt von 200 ÖSHZs, die momentan größtenteils von einem einzigen proprietären Monopolisten abhängen. Lino wagt sich da sozusagen als kleines Segelboot aufs offene Meer hinaus, in die Konkurrenz großer Ozeanriesen. Hat er dort eine Chance? Allein die Tatsache, dass wir uns trauen, das zu hoffen, finde ich bemerkenswert.

Ich wohnte à la bonne franquette in einer echten wallonischen Familie. Morgens darf man dort sein Butterbrot in den Kaffee tunken, der Vater liest Phantasy-Romane und die Mutter kocht gerne. Wie alle Leute dort (von denen, die Arbeit haben) fährt jeder Elternteil morgens im eigenen Auto zur Arbeit. Die Smog-Schilder bedeuten, dass die Höchstgeschwindigkeit eine Zeitlang runtergeschraubt wird. Das ist im Frühling manchmal so, das ist nicht weiter schlimm. Lästiger ist, dass die Bauarbeiten am Viadukt von Montigny so lange dauern.

Vor und nach der Woche in Charleroi habe ich dann für jeweils zwei Tage bei meinen Eltern in Eupen vorbeigeschaut. Die sind jetzt seit knapp 50 Jahren verheiratet. Am 4. April ist Goldhochzeit. Also wer sie kennt, darf sich gerne bei ihnen melden und gratulieren. Aber gefeiert wird das erst im August, weil wir keinen früheren Termin finden konnten.

Wenn ich die täglichen kleinen Konflikte meiner Eltern so hautnah miterlebe, dann musste ich auch dieses Mal mindestens einmal rufen „Es ist ein Wunder, dass ihr es 50 Jahre miteinander ausgehalten habt!“. Die beiden sind wirklich ein altes Ehepaar, und es geht ihnen ähnlich wie vielen anderen, so wie Loriot es in seinem Sketch „Feierabend“ veranschaulicht:

https://www.youtube.com/watch?v=AxQ7oqOTXlI

Sie werden nicht jünger, aber es geht ihnen den Umständen entsprechend gut, denn sie streiten sich noch und gehen noch zur Messe.

Besorgniserregender finde ich die Situation auf der Halbinsel Krim. Als ich im Flugzeug Richtung Tallinn saß, las ich die Berichte zweier estnischer Tageszeitungen über das „Referendum“.

Eine estnische Reporterin, die für den „Postimees“ auf der Krim berichtet und vor Ort Menschen interviewt, bekam von einer russischen Frau zu hören, in Estland lebten schlechte Menschen, Verräter, die sich abgesetzt haben. „So lange Russland euch ernährte, war alles gut. Aber als dann die EU euch was anbot, lieft ihr sofort zu denen rüber. Lettland und Litauen sind auch solche abtrünnigen Länder. Was hat Russland euch denn Schlechtes getan, dass ihr Hals über Kopf weglaufen musstet?“ fragte die Frau und zog zur Beendigung des Gesprächs die Tür zu.

Wenn ich so was lese, dann erinnert mich das russische Volk an den Topinambur in unserem Gemüsebeet. Wenn wir den frei wachsen ließen, dann hätten wir bald nur noch Erdschollen zu essen, weil er Bohnen, Möhren und Salate überwuchert hätte. Nichts gegen erfolgreiche Systeme und nichts gegen die Tatsache, dass wir eigentlich eine Weltregierung dringend nötig hätten. Aber die soll bitte nicht solche Menschen wie die erwähnte Frau heranziehen. Bitte nicht noch mehr Macht in die Hände eines Volks, das geistige Monokultur fördert.

Verständlich, dass Estland sich Sorgen macht. Eine kleine Salatkultur neben dem Topinamburbeet! „Wir müssen uns die Frage stellen, ob die reichlichen russischstämmigen Immobilienkäufer in Ost-Virumaa und Tallinn für unsere Wirtschaft belebend wirken, oder ob es eine programmierbare Zeitbombe ist, die im Fall eines Falles Russlands Schutz erbittet“ fragt der Leitartikel des „Õhtuleht“.

Wer hat Anrecht auf das Territorium der Krim? Ob das die Russen, die Ukrainer oder die Krimtataren sind, weiß ich nicht, weil ich die Geschichte der Region zu wenig kenne. Aber eines scheint mir klar: Volksbefragungen haben da überhaupt nichts zu sagen. Bei Territorialkonflikten gibt es nur eine Möglichkeit: die Streithähne müssen von einer übergeordneten Instanz in ihre Grenzen verwiesen werden.

Die Volksbefragung im Jahr 1920 in Ostbelgien war ja auch nur eine Farce. Trotzdem sind wir Ostbelgier heute froh, zu Belgien zu gehören. Im Nachhinein kann man also sagen, dass es damals gut war, so „über die Köpfe hinweg“ und undemokratisch zu entscheiden. Ich fürchte aber, dass es in der Krim überhaupt nicht gut ist. Der ausschlaggebende Unterschied ist, dass damals ein großer wuchernder Staat (Deutschland) zurecht gestuzt wurde. Das war richtig. In der Krim jedoch geschieht das Gegenteil: hier wird ein großer, mächtiger Staat noch mächtiger. Das führt zu Monokultur. Das müssen wir vermeiden, weil wir Vielfalt statt Monokultur brauchen.

Während ich noch über solche Dinge nachdachte, landete das Flugzeug, und draußen war wieder Winter. Den Bus nach Vigala von 13.25 Uhr verpasste ich knapp, so dass ich bis zum Abendbus warten musste, mit dem ich dann endlich um 20.15 Uhr zu Hause ankam. Wir alle waren froh, dass ich wieder daheim war: Ende gut, alles gut!

Herzliche Grüße von Luc mit Ly, Mari und Iiris

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