Papst Franziskus lüftet kräftig

Montag, 5. Februar 2018. Gestern ging ich mit Ly spazieren und fragte sie „Wie findest du folgende Aussage: Gott ist gerecht und allmächtig, deshalb dürfen wir bei aller Barmherzigkeit nicht aus den Augen verlieren, dass Er die Welt am Ende richten wird.“

Es war um die Jahrtausendwende, als mir erstmals auffiel, dass es Christen gibt, die irgendwie etwas ganz anderes glauben als ich. Nun ist es ja nichts Neues, dass Christen sich in manchen Fragen uneinig sind. Aber das hier war irgendwie tiefer. Ich ahnte eine große Spaltung.

Die Spaltung geht quer durch die Konfessionen hindurch. Zumindest bei Katholiken und Protestanten gibt es die Einen wie die Anderen. Eine Zeitlang habe ich jene „Anderen“ als evangelikal bezeichnet. Aber das scheint auch nicht das richtige Merkmal zu sein.

Es handelt sich um zwei grundverschiedene Auffassungen von Kirche. Ich fand, dass große Teile jener „anderen“ Auffassung falsch, veraltet und aussichtslos sind.

Seit ich in Estland lebte, merkte ich immer wieder, dass diese „andere“ Auffassung nicht nur in Estland sondern auch weltweit in recht vielen Köpfen und recht tief sitzt. „Okay, ich muss bescheidener werden und lernen, auch mit solch ganz anderen Christen zusammen in einer Gemeinde zu leben. Jeder Jeck ist anders. Wer sich nicht ändern will, mit dem muss man leben.“ sagte ich mir. Ich ahnte, dass jene „andere“ Auffassung von Kirche die altbewährte und historisch gewachsene ist und insofern zumindest berechtigt ist.

Aber ich war auch erschrocken: wenn Christsein das bedeutet, bin ich dann überhaupt Christ? Muss ich dann nicht eher austreten aus der Kirche? Ich las über Kreationismus und Leute, die ihre Kinder in „christliche“ Schulen schicken, wo diese lernen sollten, dass Charles Darwin ein Irrlehrer sei. Immer deutlicher spürte ich: die beiden Auffassungen sind nicht kompatibel. Nein, ich will nicht, dass man mich für so einen hält. Wenn Christsein das bedeutet, dann will ich kein Christ sein!

Ich ahnte, dass die Kirche klarstellen muss, was denn nun „richtig“ ist. Ich habe ein Dokument mit meiner Sammlung von Unterscheidungsmerkmalen begonnen: Die große Spaltung?.

Als Papst Franziskus ins Amt kam, da spürte ich gleich: es geht los! Da kommt einer, der die Fenster öffnet, um frischen Wind reinzulassen bis in die hinterste Kellerkammer der Kirche. Ich habe weder Zeit noch Ausbildung, um all diese Enzykliken und Dokumente zu Ende zu lesen und im Detail zu verstehen, aber alle Fragmente, die bis zu mir vordrangen, zeigten mir das.

Als ich erfuhr, dass sich einige wichtige Persönlichkeiten innerhalb der katholischen Kirche gegen den Papst stellten und ihm vorwarfen, dass er mit dem Bade auch das Kind ausschütte, da wusste ich: das sind jene „anderen“ Christen.

Ich wollte dem Papst schon einen offenen Brief zur Ermutigung schicken, aber da stolperte ich über pro-pope-francis und Paul Zulehner, der mir quasi aus der Seele schreibt:

Hochgeschätzter Papst Franziskus! Ihre pastoralen Initiativen und deren theologische Begründung werden derzeit von einer Gruppe in der Kirche scharf attackiert. Mit diesem öffentlichen Brief bringen wir zum Ausdruck, dass wir für Ihre mutige und theologisch wohl begründete Amtsführung dankbar sind.

Wie schön! Ich bin nicht allein! Ich habe natürlich sofort unterschrieben. Und Zulehners neues Buch ([Zulehner2018]) gekauft. Er spricht darin von einer „neuen Pastoralkultur“. Wahrscheinlich ist es das, was ich mit meinen beiden Auffassungen meine.

Hier noch die neueste Info. Catholic civil war over Communion for the divorced escalates as Pope Francis is attacked by 5 bishops. Ja, dass der frische Wind nicht allen in den Kram passt, war vorauszusehen. Freilich kann ich die Sorge des Papstes nachvollziehen: je mehr Menschen jetzt abspringen, desto schwieriger wird die Zukunft der Kirche und die Arbeit seiner Nachfolger. Insofern finde ich es richtig, dass er tüchtig schimpft mit denen, die seine Autorität angreifen.

Das alles habe ich Ly gestern übrigens nicht erklärt. Sie meinte nämlich, dass ich lieber die Sonntagsruhe genießen solle statt über solch spitzfindige Themen zu grübeln. Das habe ich dann auch getan. Zumindest bis zum Ende unseres Spaziergangs. Danach setzte ich mich an den Computer und schrieb mir das alles mal von der Seele.

Hier einige Fotos von unserem Spaziergang.