Samstag, 3. Mai 2014

Heute habe ich an einem Ereignis teilnehmen dürfen, das vielleicht historisch ist.

Zwei- bis dreihundert Esten stiegen von Windows XP auf Ubuntu um

Heute sind allein in Rapla etwa 30 Computer von Windows XP auf Estobuntu 14.04 umgerüstet worden. Die Besitzer dieser Rechner, hauptsächlich private Nutzer und Renter, bauten ihre Maschinen im Kammersaal des Kulturhauses selber auf und wurden von drei freiwilligen Profis beraten und begleitet beim Umstieg.

Estobunutu ist die in Estland am meisten verbreitete Linux-Distribution, deren Ziel es ist, dass der estnische Otto-Normal-Benutzer spontan damit zurecht kommt. Dazu gehören der minimalistische Desktop LXDE, Treiber zur Nutzung estnischer eID-Karten, eine Serie von sinnvollen Browser-Lesezeichen, usw.

Der Umstieg begann mit Beratung über mögliche Risiken und Nebenwirkungen, ging weiter über Datensicherung, Installation, und Konfigurierung bis zur anschließenden Schulung. Mit fiel auf, dass die Leute überaus gut informiert waren. Die wollten umsteigen. Die wussten, dass sie sich umgewöhnen müssen, dass sie vielleicht nicht so einfach Hilfe finden werden wie mit einem Windows-Rechner, aber sie hatten sich entschieden. Nur eine Frau ist unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen, weil meine diesbezügliche Warnung ihr Angst eingejagt hatte. Von einigen Rechnern machte ich ein Abschiedsfoto:

Eine Ukrainerin war dabei, die von einem russischen XP auf ein estnisches Ubuntu umstieg. Schade, dass ich kein Foto gemacht habe.

Beeindruckend fand ich auch die allgemeine Stimmung. Jeder half so viel er konnte mit. Für manche bedeutete das lediglich, dass sie geduldig warteten, bis sich jemand um sie kümmern konnte. Andere halfen gleich nach der Bekehrung des eigenen Rechners schon begeistert bei der nächsten Installation mit.

Iiris war an diesem Tag mit mir gekommen, und die 6 Stunden im gleichen Raum waren für sie keine altersgerechte Aktivität. Das war eigentlich nicht geplant, aber ich hatte nun mal keinen Babysitter gefunden. Überraschenderweise gab es der Veranstaltung jedoch eine besondere Note, weil mindestens zwei junge Familien sich über die Kinderspielecke freuten.

Für uns drei bedeutete der Tag, dass wir fünf Stunden lang ununterbrochen von einem Rechner zum nächsten sprangen. Das war anstrengend, aber angesichts der freundlich-dankbaren Gesamtstimmung kein Stress. Viele freudige Ausrufe im Stil „Wow, der ist ja jetzt viel schneller als vorher!“ und „Das funktioniert ja alles viel besser!“ waren unser Dank. Alle gingen dankbar nach Hause und freuten sich über das neue Leben ihres Computers, den sie tot geglaubt hatten.

Aber das ist nicht alles. Das Ganze fand im Rahmen der jährlichen nationalen Gemeinschaftsaktion „Teeme ära!“ statt. Unsere Veranstaltung in Rapla war nur eine von 9 im ganzen Land. Deshalb sind estlandweit heute auf diese Weise 200 bis 300 neue Linux-Benutzer hinzugekommen. Die offiziellen Zahlen lauten:

Pärnu

20

Kuressaare

17

Hiiumaa

7

Rakvere

14

Viljandi

23

Tallinn

50

Tartu

24

Võru

19

Rapla

22

Gesamt

196

Wir schätzen, dass es in Rapla deutlich mehr als 22 waren. Leider haben wir es verpasst, darüber genauer Statistik zu führen.

Noch zum Wort „Gemeinschaftsaktion“. Ich habe dieses Wort als behelfsmäßige Übersetzung für das estnische Wort „talgud“ gewählt. Ein zufriedenstellendes Äquivalent dieser Tradition gibt es jedoch nicht. Die Wikipedia übersetzt es als Dugnad: „Dugnad ist die norwegische Bezeichnung für eine gemeinschaftlich ausgeführte Aufgabe oder einer freiwilligen Arbeit mit Bedeutung für die Gesellschaft oder einer Einzelperson. Eine Dugnad wird meist im örtlichen Zusammenhang (oft im Rahmen einer Nachbarschaftshilfe), seltener auch regional oder national geplant und durchgeführt.“

„Teeme ära“ ist ein landesweiter Aktionstag in diesem Sinne, der in Estland traditionell jährlich am ersten Samstag im Mai stattfindet. Dabei wird üblicherweise ein Teil des öffentlichen Raums gepflegt: Parks, Anlagen, historische Bauten, usw. werden in gemeinschaftlicher freiwilliger Arbeit „aufgeräumt“. Das Gesamtprojekt hat eine eigene Webseite und umfasste dieses Jahr 43137 Teilnehmer in 1737 lokalen Projekten.

Die geniale Idee, diese Tradition auf Freie Software als Gemeingut zu erweitern, stammt von Edmund Laugasson und wurde von der estnischen Vereinigung für Freie und Open-Source Software aufgegriffen.

Abends auf dem Rückweg sah ich folgende Landschaft, die mir als Hintergrundbild geeignet schien:

Alle meine Fotos vom Tag: http://sigal.saffre-rumma.net/2014/05/03/index.html